wie entwickelt man eine perspektive auf sein leben, die geprägt ist vom vertrauen in sich selber und in andere menschen? (frage-zeichen mag ich nicht / genau wie sein großer bruder / das ausrufe-zeichen / kommt es mit schminke und meldo-dramatischer geste daher / wie eine ab-gehalfterte diva / die im kulturhaus hinter den sieben bergen / vor fast sieben zwergen chansons krächzt // ein punkt genügt / ein doppel-punkt will mal ausrufe-zeichen werden / drei punkte sollen etwas heißen: …) die annahme, die andern wollten einem nur böses und übles, sie nähmen einen nicht ganz für voll, gerät unter der hand zu einer selbsterfüllenden prophezeiung und gewinnt, täglich, stündlich, in jedem augenblick an dynamik. wie sie schon tuscheln hinter deinem rücken, wie sie erst spotten unter sich. – wie durchbricht man das: miss-trauen? das leben der anderen ist immer: kühner, aufrichtiger, gelungener. — was ich bin, bin ich was, was bin ich: ein schwätzer, ein großsprecherischer projekte-macher, ein luftikus-hansguckindieluft? was ist das: ein dichter (den dichter macht das gedicht, denn der dichter macht das gedicht, irgendwie – aber was ist: ein gedicht? – dein kuchen ist ein gedicht …), was ist das: ein schreiber, ein schrift-steller, ein „freier autor“ (klingt mehr nach freiem radikal und freiem radikalen als nach etwas ernst-zunehmendem)? ich kann allenfalls von mir als „verfertiger von texten“ sprechen – das soll nicht abgeklärt wirken, das ist nur der kleinste gemeinsame nenner, auf den ich mich mit den imaginierten, internalisierten spöttern einigen kann. es ist kein beweis denkbar, der mich etwas anderes denken ließe („das bist du aber: ein lyriker“; gedachtes ausrufezeichen). die empfindung des lebens als hochstapelei bleibt untilgbar. ein kalauer: mehr hysteriker als historiker. und wieder zwei punkte: drei punkte … einmal den satz schreiben, sagen, denken, fühlen: „ich bin ein dichter.“ – und keinen widerspruch hören im innersten grund von herz, seele und verstand. guck mal, er hat ja gar nichts an. warum müssen wir abends auf dem sofa sitzen und heulen? das eingebildete nase-rümpfen von marcel proust ertragen lernen. dem un-verständnis mit kühnem trotz begegnen. denn sind wir nicht angelegt seit den tagen im baumwipfel und von noch früher her, als wir einzelne aminosäuren uns zusammentaten aus nichts anderem als lust und mut, sind wir nicht angelegt seit vor dem anfang der zeit zusammen zu kühnen taten. kein frage-zeichen, drei punkte weiß auf weiß

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(…) später las ich ein interview mit kito lorenc: (…) ich kannte keine rätselvollere erwartung als jene auf die wunder, die sich mir offenbaren würden, könnte ich erst die papiere [seines großvaters jakub lorenc-zalěski, der ebenfalls literarisch tätig, und zwar in sorbischer sprache] aus dem schränkchen lesen, ja wohl überhaupt auch in der andern sprache leben: (…) wenn ich stubenhocker in den schulferien am schreibtisch saß und während mein „praktischerer“ bruder auf dem holzplatz beim bretterstapeln helfen musste, erste versuche in großvaters nautischen künsten unternahm auf deutsch vorerst noch, so ließ mein vater mich widerstrebend und heimlich stolz gewähren. (…) öfter und öfter besuchte ich dann das großvater-land, erfuhr es, erschrieb es mir immer noch auch mit sorbischen gedichten und indem ich es mir und andern ins deutsche „übersetze“. (…) gewiss sollte jedes literarische einzelwesen in einem möglichst frühen stadium seiner ontogenese die literarische phylogenese gerafft und andeutungsweise wiederholen. (…) – diese worte erzeugten eine schillernde, vielfältige resonanz: ich erinnere mich, wie ich hinter jeder ecke, in die ich nicht blicken konnte, ein wunder vermutete, nur vor meinen augen geschahen sie nie. in einer subtileren form vermute ich sie unter einer dünnen schicht von naivem realismus noch immer; ich weiß, dass es zaubersprüche gibt, ein richtiges wort zur richtigen zeit gesprochen, löst alle bande auf, vielleicht nennt man so etwas zivilcourage, vielleicht erfordert es einsicht. ich war der stubenhocker und der „praktischere“ bruder zugleich, hin- und hergerissen zwischen dem papier auf dem tisch und der arbeit auf dem hof bin ich noch immer. ich habe noch nicht so richtig verinnerlicht, dass es keinen unterschied zwischen der arbeit auf dem hof und auf dem papier gibt, weil ich noch so sehr verinnerlicht habe, dass es einen gäbe. das erbe der herkunft, das erbe von protestantischer arbeitsethik. man kann sich nie so ganz aus dem ei schälen, in das man geboren wurde. mir schien allezeit, dass meine erkundungen auf dem papier, meine arbeit auf dem papier, eher widerstrebend als heimlich stolz beobachtet und gutgeheißen wurde. im zweifel war es wohl … gleichgültigkeit. das bewahrte mich einerseits vor einer überschätzung meiner fähigkeiten und deren früchte, andererseits trug diese haltung aber auch nicht zu mutiger entschlossenheit bei, diese fähigkeiten zu gebrauchen und mit ihren ergebnissen zu markte zu gehen. aber man kann nicht gegen seine natur und diese natur ist wohl in meinem fall die arbeit auf dem papier: ich streife durch mein großvater-land, erlaufe es, erschreibe es mir mit gedichten – frei nach reiner kunze, wonach das gedicht der blindenstock des dichters sei. vielleicht ist eine vielzahl dieser texte und gedichte, die in diesem zusammenhang entstehen, gar nicht so wichtig bezogen auf sich selbst, vielleicht kommt es erst in zweiter linie auf ihre qualität an – vielleicht dienen diese texte und gedichte, ganz im sinne der pechblende, zunächst vor allem dazu, die sinne zu schärfen und die fülle der eindrücke zu erhöhen. was mir einfällt, ist was mir auffällt. wenn es daneben und darüber hinaus, wenn bei diesen verortungen gelungene texte und gedichte entstehen, die auch auf sich selbst bezogen wirken – um so besser. (kito lorenc. wortland. gedichte, leipzig 1984, s. 157f.)

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st. annen, bergaltar

das sein spinnt das bewusst-sein / aus den mannsarmstarken und / altweiberhaardünnen silberadern im gebirg. / ohne silber keine siedlung / hier an meißens sibirischem rand / allenfalls ein paar holzknechte, köhler, kuhhirten, / die sich ins rauhe verirrten, / gelichter, das den schatten / dunkler buchenmischwälder sucht, / träumer, räuber, roma, … dichter. // das silber klöppelt ein bewusst-sein / aus den gedanken der hauer vor ort, / ein meter vortrieb im jahr mit schlägel und eisen, / nach zwölf jahrn ein wrack, / das im fels gestrandet ist: / glück auf zur letzten schicht. // das silber drechselt nach feierahmd / den knappen ihr bewusst-sein in den kopf: / ich bin bergmann – wer ist mehr, / ich bin bergmann, wer ist – mehr? / wir gruben-knappen brauchen keine ritter. / wer sich durch den fels / zu schlägeln weiß, kann sich / selbst durchs leben schlagen. amen. / sankt wolfgang wandelt alle tage / unter uns ganz ohne heilgen-schein / als steiger mit habit am leib und leder am gesäß. / glück auf.

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h. z. empfahl mir vor einiger zeit die lyrik von kito lorenc, mit dem er seinerzeit gemeinsam in leipzig studierte. ich lieh mir vor wochen einen band sorbischer lyrik aus, den lorenc als herausgeber betreute (das meer. die insel. das schiff. sorbische dichtung von den anfängen bis zur gegenwart, heidelberg 2004) und las den band – nicht, sondern ließ ihn im regal stehen. letzte woche ging ich daran vorüber, ergriff ihn aus einer neugierigen erwartung heraus und begann zu lesen. derart gefesselt, dass ich mir alle lyrikbände organisierte, die auf die schnelle greifbar waren. im band flurbereinigung. gedichte (bln./weimar 1973) fand ich in einem beigefügten text sätze wie: (…) und dieser fünf jahre am sorbischen institut bedurfte es wohl noch, ehe ich begriff, daß dies unveräußerlich und legitim meine heimat geworden war, dieses „trjebin-slepo-miłoraz“, dies „glückliche dreieck meiner kindheit“. ein jeder, und will er gar dichter sein, braucht wohl etwas wie heimat, vor der er zu bestehen sucht. (…) zugleich aber wusste ich auch, dass sie kein eingehegtes, noch so „glückliches dreieck“ sein kann, die heimat. jeder versemacher benötigt auch einen angemessenen, zu bewältigenden raum. gleich einem zirkel schlägt er sich in diesen „prägnaten punkt“, nennen wir ihn also heimat, und schwingt seine kreise, die ihm anstehen, misst seinen raum ab nach wissen und gewissen. dass dies kein geographischer sein kann, spürt er bald. (…) zumindest weist dieser raum über das geographische hinaus, hinab und hinauf. thomas rosenlöcher beschreibt den ellenbogen, den er auf den tisch stützte, auf dem er schrieb, als zirkel, um den sich seine welt entfaltet bis ins fernste ferne; bei seinen wanderungen durch suffolk greifen die gedanken w. g. sebalds immer weiter hinaus ins zeitliche und räumliche, schweifen immer weiter – wie die ringe des saturn. die beschränkung ermöglicht erst die ausbildung von sensibilität, so dass im kleinen die fülle deutlich wird, die einem im großen überwältigte: in grenzen unbegrenzt.- mir ging es ähnlich: ich musste erst fortgehen, in eine halb-entfernung ausweichen, damit ich ankommen konnte. mir fällt ein, was mir fehlt, sagt martin walser. insofern muss man etwas erst verlieren, um es wahrzunehmen. mit verlust und kindheit hängt heimat deshalb so eng zusammen, weil sie vor allem ein teppich von erzählungen ist, der über eine bestimmte gegend und landschaft gebreitet wird. neo rauch spricht bezeichnenderweise von der heimat als einem emotionsteppich. diese erzählungen schnappt man in der kindheit am tisch von geburtstagen, taufen, hochzeiten, schulanfängen, … auf. jeder trägt dazu etwas bei, in beliebiger reihenfolge erzählt jeder immer wieder das gleiche, fast: dasselbe. dort ist heimat, die geschichten, die unsere menschen erzählen, hängen an den straßen, häusern, bäumen, bächen, gärten, wiesen, wäldern, bergen, höhlen, … je älter man wird, desto mehr erfahrungen macht man selber, desto mehr entdeckt man, nicht zuletzt an verschwiegenem, verdrängtem, so dass die widersprüche immer größer werden und der erzählungsteppich immer kleiner wird, immer dünner, immer poröser, immer mehr löcher bekommt er mit der zeit. wir bemerken den teppich erst durch sein schrumpfen und seine löcher und erinnern uns plötzlich, wie groß und dicht und prächtig er in unserer kindheit war. aber man kann die löcher stopfen – und wenn sich die erzählungen, erlebnisse und entdeckungen widersprechen, lass sie sich widersprechen. hier grenzt ein wort ans andre, lass es grenzen, schwärmt ingeborg bachmann über böhmen am meer. die widersprüche machen die heimat nur reicher, die zweifel schärfen ihre kontur. ich streife umher und finde unter jedem stein eine geschichte (und wo nicht: erfind ich eine), in den fichtenwälder lauert hinter jedem stamm ein waldschrat, zwerg, gnom, … (und wo nicht: erfind ich einen). mit den erzählungen fasst man erst richtig fuss und lotet zugleich die tiefe aus (mit den kellern samt den leichen darin, heimat muss nicht heißen: beschönigen, denn dann würde sie wohl mehr beschämen). das erzgebirge als erzählgebirge, schicht um schicht, textschicht um textschicht – wie bei den grafiken von carlfriedrich claus. je tiefer man gräbt, desto mehr bezüge stellen sich her; die widersprüche verknüpfen sich und werden zur signatur.

massen zu organisieren, sagt einer, sei schon gewalt – und trinkt fertigwasser aus einem plastikbecher. ich denke: wieviel gewalt steckt eigentlich in einem plastik-becher? das öl, das blut, der schweiß, der müll.

ich traf k. im leipziger westwerk bei der vorstellung einer ziemlich schrägen veranstaltung (http://westwerk-leipzig.de/newsdetail/items/mauser-und-du-so.html; letzter zugriff: 28.08.09) – hätte ich mal mit krawatte und cordanzug auftauchen sollen … wissenschaft ist genau wie kunst, führe ich aus, ein ritual. (dabei bin ich, seltsamerweise, ganz bei mir, selbst jetzt, während ich dies niederschreibe, ist mir in keiner weise peinlich, was ich sagte.) durch beschränkung auf bestimmte segmente der wirklichkeit und bestimmte verfahrensweisen, durch reduktion versucht man tiefere einblicke zu erlangen, besser zu verstehen. man schickt verschiedene sonden aus in die tiefe der wirklichkeit, die eine sonde heißt wissenschaft, geschichte, soziologie, … physik, eine andere sonde heißt literatur, musik, malerei, … literatur als ritual wäre der ausgangspunkt, die grundlage für eine poetik, was mir im letzten jahr in heidelberg einfiel und ich dort kontrovers diskutierte. – wie ich mich in der leergeräumten, heruntergekommenen, verfallenden halle umsehe, in der die veranstaltung stattfindet, fällt mir ein, auf: wir tragen die ddr in uns. diese halle hat den charme und die ästhetik der orwell-verfilmung von neunzehnhundertvierundachtzig. mir fallen filmsequenzen ein, die ich in gedanken in diese räume projiziere. wende-stücke und gegenwarts-stücke, die darin gespielt werden, um zu vermitteln: wir bewegen uns in strukturen, die wir nicht machten (allenfalls verändern wir sie ein wenig, tapezieren hier und da, brechen ein fenster in die mauer, selten reißen wir eine ganze mauer ein), wir bewegen uns in den hüllen der vergangenheit, wir sprechen mit worten der vergangenheit, wir denken gedanken der vergangenheit: unsere gegenwart ist nie auf der höhe der zeit. selbst wenn wir uns durch eine raumstation hangeln, die über der erde kreist, hangeln wir uns immer noch von baum zu baum durchs urwald-paradies.

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gestern abend erinnerte ich mich, wie ich am donnerstag plötzlich aus den erörterungen meiner texte heraus zu s. g. sagte, dem sinn nach: mein ziel besteht in der erschließung des erzgebirges als literarische provinz. kaum hatte ich es ausgesprochen, erschien es mir so klar und einleuchtend: genau darum geht es. dieser satz kam aus mir heraus. einfach so. und ich empfinde keinerlei widerspruch in meinem innern, der zweifelzwerg schweigt, ist stumm, hier fehlt ihm das argument. es ist offenbar nichts aufgesetztes daran. die erschließung des erzgebirges als literarische provinz. das ist der kern meiner bemühungen, alles übrige muss sich darum gruppieren – oder unter den tisch fallen.

(…) es müssten eigentlich so um die tausend wörter sein, die unter der bilanz eines tages stehen, damit ich mit dem tagwerk wenigstens einigermaßen zufrieden sein kann, wenn ich auch nichts anderes geschafft habe, so wenigstens diese tausend wörter (würter) und seien es notizen in diesen blättern. tausend wörter, das sind ungefähr drei seiten in dieser schriftgröße und in diesem zeilenabstand oder, handschriftlich, vier bis fünf blätter. da kommt man dann leicht ins hochrechnen und gerät in die gefahr, es mit der möglichkeit bewenden zu lassen, aber so um die zweihundertfünfzig seiten sollten auf diese weise in einem jahr schon möglich sein.

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ich mache fotos von dingen, an denen erinnerungen hängen, um sie gegebenenfalls unter dem titel „aides mémoire – gedächtis-stützen“ zu veröffentlichen, wenigstens, ja ausschließlich im blog. ich fotografiere den schleifstein, ein warnschild.

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geträumt: ich mische mich, nicht ganz erlaubt, unter eine große menschenmenge, allesamt potentielle bundestagsabgeordnete, der sitz im parlament wird wie auf einer versteigerung an den meistbietenden vergeben.

als ich gestern abend einschlief, wurde mir deutlich: ist es wirklich notwendig, zwischen lyrik und prosa zu unterscheiden, zwischen gedicht und geschichte? sind das nicht zwei seiten einer medaille, zumindest in meinem fall oder besser noch: irgendwie beides zusammen und zugleich weder das eine noch das andere? wie hat das erwin strittmatter einmal formuliert: die synthese aus lyrik und prosa sei poesie. das ist wieder so ein satz nach dem muster: herr lehrer, herr lehrer, ich weiß was! da guckt ihr aber, was? – ich erinnere mich an das auswahlgespräch zur aufnahme in die studienstiftung, als mich zum abschluss der soziolge, mit dem ich ein angenehmes gespräch geführt hatte („es war eine freude, mit ihnen zu sprechen!“ – solche hamsterbausteinchen merke ich mir immer …), was ich von den romanen strittmatters hielt. ich habe bis heute keine ahnung, wie er auf strittmatter kam. ist ja nicht unbedingt die klassische lektüre für soziologen, selbst für solche nicht, die noch etwas anderes als weber, parsons und luhmann kennen. ich antwortete wahrheitsgemäß, diese dorfgeschichten seien mir eher fremd, ich könne damit nicht so viel anfangen. das traf auch damals zu, ich hatte wohl eine ahnung, worum es bei strittmatter so ging, kannte die ponygeschichten und ein paar kleine erzählungen (über seine bücherei beispielsweise), aber ich hatte weder den laden noch den wundertäter gelesen. inzwischen sehe ich das alles anders und auch wenn mir die texte mittlerweile ein wenig zu poetisch erscheinen, bleibt er mit seinen beschreibungen einer untergegangen kleinbäuerlichen dorfwelt ein orientierungspunkt.

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günter kunert berichtet davon, dass er seit mehr als zwei jahrzehnten an seinem „big book“ schreibe, einer sammlung von mittlerweile fünftausend texten (erinnerungen, reflexionen, kommentare), die zweifelsohne niemand lesen wolle – aber ihm genüge es, wenn er sie beim schreiben lese (http://www.youtube.com/watch?v=ctW_smwugBI, letzter zugriff: 21.08.09). – in gewisser weise kann man diese zeilen demnach auch als „big book“, als mein „big book“ bezeichnen: erinnerungen, kommentare, reflexionen, (selbstethnografische) beobachtungen, …, die ebenso in ihrer ganzen fülle niemand lesen möchte, ja niemand lesen kann. aber auch mir genügt es, wenn ich sie beim schreiben lese und gelegentlich darin schmökern kann. der mut, der aus den eigenen texten strömt, sozusagen. kunert spricht, wenn ich es recht erinnere, an einer stelle auch einmal vom schreiben als selbsttherapie. – kunert ist auch so ein früher weg-gefährte: seine bücher haben mich einige jahre begleitet und mir neue möglichkeiten der gestaltung und des ausdrucks eröffnet. ich erinnere mich (erinnere mich!), wie ich vor zehn jahren seine erinnerungen las und mir jemand dabei zuraunte, „erwachsenenspiele“ seien doch nichts für mich … (erwachsenenspiele. erinnerungen, münchen 1997).

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kito lorencens buch über sorbische dichtung wirft die frage auf: was wärst du wohl, was wäre wohl inzwischen aus dir und deinem schreiben geworden, wärst du in bautzen aufgewachsen und schriebest sorbisch (das meer. die insel. das schiff. sorbische dichtung von den anfängen bis zur gegenwart, heidelberg 2004)?

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was heißt zeugenschaft? zu welchem zweck und ende treibt man: dokumentation?

ein schwarzes loch, unsichtbar, verschlingt die fabrik. der krake des vergessens lauet hinter zäunen und hecken, er tritt auf mit anzug, krawatte und melone wie in einer tschechischen kafka-verfilmung. er gibt vor, uns einen staub-sauger verkaufen zu wollen, mit dem wir den mehlstaub und die lähmung entfernen könnten, aber ehe wir uns versehen, hat er uns den teppich unte den füßen weggezogen und ist verschwunden. aber worauf sollen wir noch gehen, stehen und auf-bauen ohne teppich? – wir dürfen ihn uns nicht ent-reißen lassen, wir müssen ihn festhalten, wir brauchen ihn, nicht etwa zum magic carpet ride (come, fly away with me, säuselt uns die schwester des kraken, die zukunft, ins ohr, fly away with me …), wir brauchen ihn nicht zum wütenden hineinbeißen, wir brauchen ihn, denn worauf sollten wir sonst – bleiben?

fabrik. mir sagt das wort noch etwas, aber manchmal beschleicht einen die ahnung, als sei dieses wort in nicht allzu ferner zukunft hierzulande so veraltet wie kummet oder grummet. der unterschied zwischen chipfabrik und porzellanmanufaktur ist aus dieser perspektive nur ein gradueller. mit dem untergang der fabrik des klassischen industriezeitalters ist auch ein sozialer ort verschwunden, der die denken, fühlen und verhalten des gemeinen mitteleuropäers stark geprägt hat und noch in seinen enkeln, die als free-lancer ihr auskommen suchen müssen. – ich frage mich, wie es in dieser fabrik wohl zugegangen sein mag: 1850, 1875, 1900, 1925, 1950, … die fabrik: wie alle anderen orte der begegnung von homo sapiens auch nur eine theaterbühne für adaptionen shakespearscher dramen. trotzdem ist die vorstellung dieser alltäglichen hoffnungen, sehnsüchte, intrigen, … von enormen reiz.

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