gegen die verzweiflung

ist ein baum gewachsen: // ein ahörnchen zwängt sich / aus den ölgetränkten eisenbahn-schwellen, / die im garten die beete begrenzen / und langsam zerfallen. / ich grabes aus und pflanzes auf die wiese, / ich ramme einen pfahl daneben in den feuchten boden, / damit mans auch im hohen gras erkenne / und nicht unversehens niedermähe. // in zwanzig jahren / lehn ich mich an seinen stamm, / seine blätter werden mich vor blanker sonne, / praller hitze und regen, der prasselt, schützen und / in seinen ästen wird ein eichhörnchen / umherspringen und mein herz / ermuntern. – wie wäre der verzweiflung / denn anders beizukommen / als mit diesem baum?

Bild 102

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golgatha imaginata

an jedem pflasterstein im hof / erkenne ich die vielen schädel, / die man damit zertrümmern könnte. / an der oberfläche glatt geschliffen / von regen, schnee und besen, / eine passende größe für die hand. / mein magen zuckt umso heftiger / je länger ich aufs pflaster starre, / all die tausend schädel, / die im konjunktiv darunter liegen / und dennoch huschen ameisen darüber / und dennoch ruht sich ein pfauenauge / auf der phantasierten schädelstätte aus.

Bild 101

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geträumt: e. h. requiriert mich fürs schneeschaufeln, ich folge ihm durch die stadt richtung markt. nirgendwo liegt indessen schnee, ganz im gegenteil es scheint ein wolkiger sommertag zu sein. auf dem markt hat sich vor der bushaltestelle eine große menschenmenge versammelt, a. s. ist darunter. der bus käme und käme einfach nicht, ich folge h. weiter und wir laufen durch eine häuserdurchfahrt in einen hinterhof, in der durchfahrt warten noch einmal dichtgedrängt menschen und strömen auf den markt, als wir die tür öffnen. endlich kommt der bus und eine schnelle bewegung geht durch die menschenmassen. ich frage mich zum einen, woher hier so viele menschen kommen, es ist fast so, als sei die ganze stadt versammelt, und zum andern, wohin sie so unbedingt alle wollen. im gewinkel der hinterhöfe öffnet sich das panorama auf das tal (..). dort steht am berg ein wagen voller heu, ein älterer mann ist damit beschäftigt, es in ein haus zu schleppen. h. verschwindet in einem haus, offensichtlich wohnt er dort, und will zwei schippen holen. ich zwänge mich einstweilen zwischen straßenrand und wagen vorbei, dort liegt überall heu, das auf dem boden liegt und ich muss sehen, dass ich nicht ausrutsche. ein stück weiter unten möchte ich ein foto machen. als sich h. nicht mehr auftaucht, laufe ich alleine weiter. weiter bergab komme ich wieder auf der höhe der alten post an (die eigentlich bergaufwärts liegt) und treffe in höhe der kirche b. l., die dort auf der mauer sitzt. sie begrüßt mich, in dem sie mich umarmt und mir einen kuss auf jede wange drückt. dann begleitet sie mich ein stück meines weges. wie es mir so gänge. übrigens sei ich wieder im gespräch als romeo. irritiert frage ich sie, was es damit auf sich habe: romeo. – nun, wie sie gehört habe, interessiere sich eine frau für mich und ich solle mit ihr bekannt gemacht und verkuppelt werden. ob ich sie schon kennte, sie hieße susanne herbiger. nein, das täte ich nicht, antwortete ich, und lief dann alleine weiter, aber die aussichten erfreuten mich doch. der wecker klingelte – und ich konnte den traum nicht weiterverfolgen, dabei hätte ich gern mehr über jene susanne herbiger erfahren.

am nachmittag besuchte ich ein orgelkonzert in der annenkirche. nach längerer zeit konnte ich wieder einmal den bergaltar betrachten, wie mir r. geraten hat. die einzelnen bergleute scheinen typen, die verschiedene tätigkeiten darstellen, auf die sie sehr konzentriert bezogen sind. sie wirken aber sehr vereinzelt; nur wo es unbedingt nötig ist, wie etwa an der haspel, arbeiten zwei zusammen. das gewusel auf dem kuttenberger altar ist etwas ganz anderes.

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zu den diskussionen um die mögliche beschäftigung inoffizieller mitarbeiter der staatssicherheit in westdeutschland meint heinz-peter haustein: im zwanzigsten jahr nach dem fall der mauer könne man es auch einmal gut sein lassen. eben nicht. das zwanzigste jahrhundert im weiteren und die zweite deutsche diktatur im engeren sinne sind noch nicht bewältigt, noch lange nicht. es fehlt an sprechen darüber, alles was ventiliert wird, sind phrasen. (jungliberale fordern stasi-überprüfung für öffentlichen dienst im westen …, in: chemnitzer freie presse, annaberger zeitung vom 23.07.09, s. 11)

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geträumt: wir bekommen eine neue katze, aber sie ist winzig klein, nicht größer als eine reißzwecke. als sie zufällig ins wasser fällt entdecken wir, dass sie eigentlich eine art fisch ist. während sie sich an land eher mühsam und schwerfällig bewegt, schwimmt sie behend und elegant im wasser, ihr unscheinbarer körper ent-puppt sich im wasser als ein filigranes gebilde mit vielfältigen, weit-schweifenden flossen, die unendlich zart sind. – ein dicker mann unterhält sich mit mir, es scheint ihm übel zu sein. er steht mir gegenüber, ich sitze in einem beigen sessel, der raum ist sehr distinguiert eingerichtet, hinter ihm geht eine tür in einen weiteren raum, sie ist geöffnet. wir sprechen darüber, wie wir am vortag zusammen im wald waren und einem wildschwein begegneten. er könne sich nicht mehr erinnern, wie das zusammentreffen ausgegangen sei. wieder stößt er auf. ich nehme die zeitung zur hand, die auf dem tisch vor dem sessel liegt, schlage sie auf und beginne zu lesen. beifällig frage ich ihn, was er denn glaubt, heute mittag gegessen zu haben. die antwort ist klar: das wildschwein. offensichtlich war sein fleisch nicht sehr bekömmlich. ich weiß nicht, ob ich ebenfalls davon gegessen habe, mir geht es gut.

beim aufräumen entdeckte ich ein weiteres begonnenes tagebuch, verstreute aufzeichnungen aus dem jahr 1998. es scheint so, als hätte ich seit cirka 1997 versucht – „unstet aber um stetigkeit bemüht“ – ein tagebuch zu führen. freilich wird immer wieder die eigene beschränktheit deutlich, wenn man die zeilen nach zehn, zwölf jahren wieder liest, aber zugleich kann eine entwicklung abgelesen werden. wie viel hätte ich notieren können, ich erinnere mich ja an unzählige gedanken, die ich spann, während ich wartete (auf das ende der schulstunde, das eintreffen des buses, den schlaf am abend, …), aber mir wurde erst im laufe der jahre bewusst, was man alles aufschreiben kann und muss, ja dass ich hätte alle diese einfälle aufschreiben müssen, um sie festzuhalten, um sie zu dokumentieren, um das schreiben zu üben, um seiten zu füllen (was das selbst-bewusstsein immer stärkt). außerdem braucht man wohl auch einige jahre (und ich hoffe: der prozess ist noch nicht beendet …), um sehen zu lernen. schildere einfach deine eindrücke, die du während des tages hast, deine sehnsüchte, träume, wünsche, … ein tagebuch ist kein ort der bilanz, kein ort besonderer darstellung, darin darfst du sein, wie du bist (und dich so trotzdem – oder womöglich: darum? – ändern). von wegen: tagebuch schreiben nur mädchen. das hat mich jahrelang davon abgehalten, selber eines zu schreiben. aber dennoch gab es immer wieder den impuls, eines anzufangen und über alle abbrüche hielt er stand, immer wieder fing ich an. oder sollte man lieber sagen: immer wieder setzte ich es fort. ein tage-buch muss ja nicht täglich geführt werden. die emanzipation von gedachten, imaginierten ansprüchen. wenigstens für mich kann ich festhalten: ich werde mir selbst, meinen wünschen, sehnsüchten und meinen mängeln, fehlern erst über das medium eines textes bewusst. insofern ließe sich das schreiben als ein weiteres sinnesorgan bezeichnen, ohne das ich wie blind oder taub durch die welt liefe. soweit ich mich erinnere, wurde lediglich anne franks tagebuch im deutsch-unterricht einmal behandelt, aber weniger um des genres willen als vielmehr wegen nationalsozialismus und shoa. vielleicht gab es irgendwann noch einmal eine stunde, um die text-sorte tagebuch vorzustellen, aber auch da nur in eher abstrakter form, bezüge und beispiele von großen diaristen wurden nie gemacht. friederike mayröckers diktum schreiben sei lesen, das zum schreiben anrege – es gilt auch für das tagebuch: samuel pepys, goethe, jünger, thomas mann, cibulka, … die reihung ist zugegeben willkürlich. um herauszufinden, welche art des tagebuch-schreibens die geeignete für einen ist, muss man zunächst wissen, was in diesem genre möglich ist und versucht wurde. die emanzipation von der tradition beginnt mit ihrer genauen erforschung; die ansprüche, die man in sich spürt, sind dabei zumeist teil der tradition, ohne dass man sich dessen sonderlich bewusst wäre: sie beginnen bei bestimmten vorstellungen, wie ein gedeck auszusehen hat, wie ein tagebuch zu führen ist usw. und enden etwa bei bestimmten vorstellungen, wie eine liebes-beziehung aussehen muss, was sie enthalten muss, welche formen gestattet und welche tabu sind. (…) – … was ich hätte alles aufschreiben können, aber einesteils wusste ich nicht, wie wertvoll die niederschrift einfacher beobachtungen sein können (eine busfahrt an einem wintermorgen, weil mit dem auto kein durchkommen war), einesteils fehlten mir vorbilder und ausdrucksvermögen, einesteils war ich viel zu sehr auf mich und die anforderungen der schule fixiert: ich lese passagen, die verdeutlichen sollen, wie sehr ich doch wertgeschätzt werde. wenigstens unterließ ich es, erörterungen zu leistungskontrollen, klassenarbeiten, klausuren anzustellen. außerdem hatte ich eine scheu vor dem festhalten von zuneigungen (…). meine texte sollten etwas hermachen, deshalb stellte ich fortwährend überlegungen an und machte grafische entwürfe, aber dabei blieb es, weil vermutlich auf diese weise jeder elan versiegte. man muss einfach zu schreiben beginnen. text produzieren, sei er schlecht, sei er besser. anders als durch schreiben kann man es nicht lernen. die form des tagebuchs (und erst recht des blogs) bietet dafür eine geeignete hülle: jede art text kann man hier einfügen, man kann anfangen, fortsetzen, abbrechen, neu beginnen – der (tagebuch-)text wächst immer, jede geschriebene zeile verändert dich, bereichert dich, erweitert deine fähigkeiten. und wenn du über außerirdische und astronomie schreiben willst, wo du noch eben eine szene aus dem klassenzimmer geschildert hast – dann tu’s. tu’s. aus dem disparaten der einzelnen eindrücke ergibt sich ein äußerst differenzierter, polyphoner gesamt-eindruck, den man vermutlich mit keinem geschlossenen text so erreichen kann. selbst wenn ich nur diese tagebuch-blätter hinterließe mit so vielen verschiedenen texten, die zugleich ein immer dichter werdendes netz an bezügen knüpfen, sowohl untereinander als auch nach außen, selbst dann wäre mein leben, so scheint es mir, während ich jetzt aus dem fenster sehe, an der pergola vorbei auf die linde, den bergahorn und weiter hinten das tal des schwarzwassers, das sich in die untergehende sonne nach böhmen hin verjüngt, alles andere als: vergeben und vergeudet. einfach anfangen und schreiben: beobachtungen, befindlichkeiten, erörterungen, anekdoten, geschichten, gedichte – kreuz und quer: das tagebuch als ein text-generator. jede neue zeile, jede neue seite verstärkt die lust zum weitermachen. je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erinnere ich mich an notierenswertes, desto trauriger werde ich über die verflossene zeit. nicht nur dass ich sie nicht genutzt habe (und sei es für ein tagebuch), und deshalb über die jahre immer unzufriedener wurde, so dass meine verzweiflung wuchs und meine selbst-achtung abnahm, sondern ich versäumte stattdessen sogar eine stärkung meiner zufriedenheit und meiner selbstachtung, denn, so wird mir klar, ist mir seit jahr und tag klar, nichts erfreut mich so sehr wie ein niedergeschriebener text, ich weiß ja, dass sie nie ganz schlecht und un-lesbar sind. aber aus der furcht heraus, der nächste könnte nur mäßig werden, und aus dem selbst-anspruch, der nächste müsse besser und vollkommener werden, schrieb ich lieber: gar nichts. den nachteil in einen vorteil ummünzen, aus der schwäche eine stärke machen, den fehler als chance begreifen: was heißt, wenn du nicht kontinuierlich an einem text arbeiten kannst, weil du zu viele ideen hast, die du nicht verdrängen, aus denen du nicht auswählen kannst, so dass du über kurz oder lang die lust und die geduld an der ersten (und zweiten und dritten …) idee verlierst, dann verlege dich doch auf das disparate – und komm voran. woran ich mich erinnere, was ich hätte notieren und ins einzelne ausführen können (nicht abzusehen, wohin ich schließlich gelangt wäre, angesichts kleists worte von der verfertigung der gedanken beim schreiben – andererseits: auch wenn es anders scheint, noch ist es nicht zu späte, „du bist doch jung, du hast viel potenzial“, sagt mir s. immer wieder – und nicht nur sie …): (…) wie ich im vorbereitungszimmer phyisk saß, in einem alten couch-sessel, neben dem ein nicht weniger alter, sperrholz-couchtisch, und mir geschichten überlegte, die ich nie aufschrieb, ein südwestdeutsch-westeuropäisches preußen namens rätien, das sich aus einem sammelsurium schwäbischer kleinterritorien die rheinschien entlang zwischen frankreich und die generalstaaten bis zum ozean schob, eine art drittes lotharingien-burgund, das preußens tugenden mit aufklärung, moderne und demokratischer partizipation verband, die soldaten trugen grüne uniformen und der friedrich-moritz baute sich auf einem felsvorsprung, der einen weiten blick in die landschaft eröffnete ein eingeschössiges lust-schloss, das aus einem großen, kreisrunden, mit einer flachen kuppel überwölbten mittelraum, dem arbeitszimmer des monarchen, der zumeist in einer einfachen, ackerbürgerlichen kleidung herumlief, drei flügel in einem abstand von jeweils hundertzwanzig grad entwickelte, wobei zwei flügel das panorama über den felsvorsprung einrahmten (ließ er in den fels schächte graben und stollen vortreiben, an deren ende an den felsen schwalbennesterartig kleine aussichtpavillons gebaut wurden, die sich sowohl über verschlungen angelegte treppen am abhang als auch über die gänge im inneren des berges erreichen ließen), (…) auf seinem abendlichen weg ins palais der königin wurde friedrich-moritz einmal von attentätern überrascht, konnte sich jedoch wehren und die gedungenen mörder in die flucht schlagen, ein kerl von schrot und korn sozusagen und dabei klug wie kaum einer unter seinesgleichen, ein hamlet, der entscheiden kann, er ließ bei seinem regierungsantritt eine kommission einsetzen, die ein jährliches gehalt für ihn festsetzte, aus diesen einkünften finanzierte er die schlossbauten und wirtschaftete darüber hinaus mit dem kapital wie ein kaufmann und händler, der rest des kronbesitzes wurde in eine art stiftung in verantwortung des staates für karitative und bildungszwecke umgewandelt („ich herrsche nicht, ich diene dem gemeinen wohl!“) …; ich erinnere mich an den blick über die dächer der annaberger altstadt, inmitten eines häusergevierts stand eine große esche; im keller der schule herrschte eine gedrückte atmosphäre aus salpeter, kantine und gestockter luft; wir fuhren an den bodensee, nach tirol oder an die ostsee, in den städten wurde ich immer in buchhandlungen oder antiquariaten abgesetzt, dort konnte ich stöbern und lief nicht weg, ein kleiner stapel bücher musste allerdings dann immer bezahlt werden; ich erinnere mich an das rotfigurige muster auf den fehmarner porzellantassen; auf dem weg von der bushaltestelle auf dem markt ins schwarzwassertal wechselte ich gelegentlich die straßenseite, um nur ja keinem schüler der mittelschule zu begegnen, insbesondere nicht jenen, mit denen ich eingeschult wurde, ich fürchtete immer böse anrufe, spott und handgreiflichkeiten; im sommer wendete ich heu, gabelte gras aus dem kastenwagen, immer wurde irgendetwas gebaut – oh, die fotos, die vielen fotos, die ich hätte machen können über all die jahre, ich träumte immer davon, fotos selber zu entwickeln, um zum einen schnell zu sehen, was etwas geworden war und was nicht, und zum andern um mit diesem oder jenem effekt dem bild einen künstlerischen anstrich zu verleihen (…), fotos von landschaften, verfallenen gebäuden und von merkwürdigen objekten wollte ich schon immer machen, eine gewissen leidenschaft für das dokumentarische, das die absurditäten der realität festhält, besaß ich insofern von anfang an, aber die analoge fotografie war mir stets zu aufwändig und für meine zwecke zu unberechenbar (ich besitze kein talent für das analoge fotografieren, da jeder simpel eine digitalkamera bedienen kann, folgert: ich bin kein fotograf); die eindrücke aus der schule, von der feld- und gartenarbeit, von großen und kleinen reisen, von den familienfesten, den kleinen spitzen und den vielen geschichten, die in beliebiger reihung jedes mal wiederholt werden und auf diese weise zum einen gemeinschaft stiften und zum andern kanonisiert werden, wie ein kulturelles gedächtnis im kleinen entsteht, könnte man an der entstehung, entwicklung und variation dieses kanon ablesen, … tu’s, tu’s, tu’s: setz dich hin und fang an zu schreiben. sei gewiss: du versinkst in den zeilen und seiten, berauschst dich am gleiten der feder übers papier und des zeigers über den bildschirm, du vergisst alle zeit und bist – frei, denn das ist es, was du tun kannst, sollst, musst, alles andere wäre vergeudung von zeit, talent und ressourcen. dabei wird jedes neu geschriebene wort deine zweifel besänftigen und deine achtung vor dir selber kräftigen. (…)

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vor vierzig jahren: houston, tranquility base here. the eagle has landed. that’s one small step for a man, one giant leap for mankind … usw. usw. … to go there where no one has gone before … usw. usw. – vielleicht. hat’s kubrick ja inszeniert. usw. usw. es ließe sich fragen: trug nicht cyrano de bergerac, der eine der ersten mondreisen beschrieb, nicht schon eine lange nase? war er nicht ein ghost-writer und schrieb gedichte für eine frau anstelle eines andern? – statt nach der spesen-finanzierung wird nur gefragt: wie war die einschalt-quote? – danke, gut. und ihnen? (beide gesprächspartner nippen am martini.)

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über die alte pass-strecke von chemnitz richtung reitzenhain fahre ich nach leipzig; der himmel über den fichtenwipfeln dämmert. im erzgebirge beheimatet und in der welt zu hause, denke ich mir, während im radio die letzten takte von haydns schöpfung erklingen.

es heißt jetzt hier und da, eine so genannte „schwarz-gelbe“, „bürgerliche“ mehrheit könne die knoten lösen, die diese gesellschaft fesseln. so hieß es vor vier jahren über eine große koalition. gemeinsam blockierten sich die beiden (drei) parteien nicht gegenseitig, gemeinsam könnten sie „durchregieren“ und mit mut das land verändern. inzwischen beklagt man den dicker und dicker werdenden mehltau – wie 2005, wie 1998. ich erwarte nichts mehr außer absurditäten. mag sein: das sind die mühen der ebene. mag sein: man erreicht nur stückweis etwas. mag sein: hier gehört vieles „entbetoniert“ und das gelingt einem am besten (vermutlich sogar: nur) von innen (was ein plädoyer dafür wäre, der sächsischen staats-partei beizutreten und gegen den stachel zu löcken, …), aber selbst dazu bräuchte man zuversicht, die ich aber nirgends erkennen kann, nicht im kleinen, nicht im großen. lethargie. in der tat sehe ich keine zukunft für unsere lebensweise und zuweilen bin ich sehr im zweifel über unsere fort-existenz im allgemeinen. ich bin mir sogar unsicher, ob mich das traurig machen sollte. was sind wir schon? wir sind schon längst über den abgrund hinausgeglitten und -geschossen, noch fliegen wir und es fühlt sich grandios an, zweifelsohne, aber bald wird der schwung erlahmen, das vorwärtskommen wird sich verlangsamen, kaum bemerkbar und ganz allmählich, aber schließlich wird es enden, das sinken wird beginnen, kaum merklich und ganz sacht, aber es wird sich immer stärker beschleunigen, bis wir in der tiefe aufschlagen und dort zerschellen. dann wird freilich niemand mehr da-sein, der in sein tagebuch die lakonische feststellung notieren kann: rien. wozu noch kämpfen, wozu nicht aufgeben, im kleinen so wenig wie im großen? nur der wahrscheinlichkeit zum trotz? was mit luther hieße: und wenn die welt voll teufel wär – wir wollen’s dennoch versuchen, trotzdem. ich habe keine hoffnung mehr, aber ich will nicht die konsequenz ziehen und aufgeben, nicht im kleinen, nicht im großen. weitermachen aus feigheit vor der einsicht in die realität. es gibt keine wunder, weiß ich, aber ich rechne dennoch mit ihnen. trotzdem. das lässt sich nicht ausmerzen. als lebte man in einem bunker und über einem gänge die welt unter, aber man plant derweil neue städte, trotzdem. trotzdem / trotz dem / trotz wegen.

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ich frage mich, warum es bislang keine größere, literaturwissenschaftliche studie zu hanns cibulka gibt: unter den perspektiven konservative literaturtradition in der ddr (gerhart hauptmann, ernst und friedrich georg jünger, erhart kästner), devianz, dissidenz und ökologie lässt sich in seinen texten meines erachtens eine ganze menge finden, und dabei erscheint mir die literarische qualität der texte durchaus gegegeben zu sein. – ich lese zwei seiten aus cibulkas tagebüchern und habe zehn neue einfälle. ich möchte am liebsten ganze passagen zitieren, aber das kostet alles eine menge zeit. „aber auch das gehört zur poesie: sich selbst vergessen können, wenn man schreibt. sich selbst vergessen heißt: an einem andern ort erwachen.“ usw. usw. (swantow. die aufzeichnungen des andreas fleming, in: ders., ostseetagebücher, leipzig 1991, s. 111.)

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geträumt: in einer schule, die dem sag in gewisser weise ähnelt, aber auf eine merkwürdige art größer ist (so dass ich kleiner wirke), folge ich drei mädchen, jungen frauen. ich lege meine tasche in einem klassenzimmer ab, darüber bin ich etwas in sorge, aber der wunsch, die drei zu begleiten ist stärker. während wir das gebäude verlassen, sehe ich auf einem couch-sofa a. b. und k. k. sitzen und sich angeregt unterhalten; mit einigem erstaunen stelle ich fest, dass a. offenbar aus mittelamerika zurückgekehrt ist. so schieben sich die zeit-schichten ineinander.

freiheit und flexibilität seien verbunden mit entgrenzten erwartungen, erläutert ulrich bröckling. „man wird nie ganz fertig und kann die ansprüche nie ganz erfüllen. überstunden und der druck nehmen zu, weil mehr freiheit und flexibilitätan mehr wettbewerb gekoppelt sind. zwang geht heute nicht mehr so sehr von vorgesetzten aus, sondern von der notwendigkeit mitzuhalten. (…) die arbeitswelt will den smarten selbstoptimierer – doch der erlebt sich zugleich immer auch als unzulängliches individuum. wo aktivität gefordert ist, ist er antriebslos. wo kreativität verlangt wird fällt ihm nichts mehr ein. flexibilisierungszwängen begegnet er mit erstarrung. statt sich zu vernetzen, zieht er sich zurück. an entscheidungskraft fehlt es ihm ebenso wie an mut zum risiko. statt notorisch gute laune zu verbreiten, ist er unendlich traurig.“ (…) („krankheit erlaubt man sich nicht“. ein soziologie über die arbeitswelt, in: sz vom 15.07.09, s. 2.)

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ein interview mit dem vater des wirtschaftsministers, dem dirigenten enoch zu guttenberg, der mir in vielem aus dem herzen spricht. ich begann es zu lesen in der vorstellung, hier plaudere ein bayerischer adliger ein wenig aus dem nähkästchen, dann aber solche sätze: (…) ich habe solches heimweh nach all dem, das schon zerstört ist, nach dem, was jetzt kaputtgeht und sogar nach dem, was noch kaputtgehen wird. die nahrungsketten werden reißen. es wird ein unerbittlichen kampf um überlebensnischen geben, um die rest-ressourcen, ums wasser. solange es noch die ungebremste wachstumsideologie gibt, sehe ich grauen auf uns zukommen, die denen der letzten beiden weltkriege in nichts nachstehen wird. (…) wo soll ich denn meinen optimismus hernehmen, wenn nicht einmal eine rot-grüne regierung es geschafft hat, zum beispiel so etwas geringes wie eine geschwindigkeitsbegrenzung in diesem land einzuführen? das sind doch auch nur knechtsnaturen. (…) ich bin mir leider sicher, dass wird die klimaerwärmung nicht oder zumindest nicht so überleben werden, wie wir es in unserer westlichen zivilisation jetzt gewöhnt sind zu leben. (…) ich bin wahnsinnig bedrückt und melancholisch, weil ich sehe, dass das schiefgehen wird (…) ich kann manchmal deshalb nicht schlafen (…). auf die frage, ob in der gegenwärtigen situation konservative und umweltschützer zusammenkämen, antwortet er: eigentlich gehört das immer schon zusammen (…). und schlussendlich: (…) natürlich tut sich der ein oder andere leichter in seiner unabhängigkeit, aber eine grundsätzliche innere unabhängigkeit sollte bei jedem menschen vorhanden sein. die bemerkung, bei dem neubeurer wohnsitz des musikers handele es sich um einen ehemaligen kuhstall, tat ein übriges. an anderer stelle äußert er: (…) natur und ökologie beschäftigen mich seit meiner kindheit. damals in den fünfziger jahren besaßen wir noch das weingut reichsrat von buhl in deidesheim in der pfalz. von einem tag auf den anderen wurden die schönen belgischen ackerpferde einen kopf kürzer gemacht. dann ruinierte die flurbereinigung die alten römischen weinbergsmauern. und in oberfranken haben sie die schönen täler des frankenwaldes mit straßen zubetoniert. das kann nicht gut sein, habe ich mir gesagt. das sind verbrechen, für die wir einmal furchtbar zahlen müssen. heute schon überschreiten die rechnungen alles vorstellbare. er deutet haydns schöpfung und vivaldis vier jahreszeiten für die gegenwart als eine anklage gegen die zerstörung: haydn erzählt darin von der jahrtausende alten symbiose zwischen mensch und natur, wie ich sie als kind noch ansatzweise gesehen habe. ich weiß, dass haydn bei seinen besuchen in england die ersten schritte der industrialisierung miterlebt hat. gut möglich, dass er sich dachte, er sei einer der letzten, die noch sehen könnten, wie diese symbiose funktioniert. wenn ich das werk dirigiere, bekomme ich jedes mal großes heimweh nach einer verlorenen zeit. (…) wenn sie die jahreszeiten so sehen, wie ich, ist das keine flucht, sondern eine anklage. gegen das, was wir mit dem planeten erde treiben. dass wir aufhören müssen, weiter an dem ast zu sägen, auf dem wir sitzen. das drängendste problem ist für mich die klimakatastrophe. leider habe ich persönlich keine hoffnung mehr, dass uns hier ein umschwenken gelingt. aus der csu war er anfang der neunziger jahre ausgetreten, weil sich max streibl weigerte, an einer demonstration gegen antisemitismus teilzunehmen, mittlerweile sei er aber der partei wieder beigetreten: die umweltpolitik der csu halte ich aber nach wie vor für falsch. die partei gehört dringend entbetoniert. das geht am besten, wenn man dazu gehört. – man mag einwenden: diese adligen mit ihrem so genannten „pflicht-bewusstsein“, mit ihrer familientradition und all den übrigen kinkerlitzchen; naive vulgärmarxisten mögen vom opium fürs volk reden; der gemeine mann, dem man nichts mehr vormachen kann, abgeklärt wie er ist, mag abwinken: was die alles so erzählen, wenn der tag lang ist – wenn ich niemals sorge um mein dasein habe, kann ich große volksreden halten, und überhaupt ist das alles augenwischerei … noch kann ich zwar recht gut schlafen oder schlafe zumindest nicht wegen der verheerenden ökologischen zukunftsaussichten schlecht, aber zuweilen werde ich auch furchtbar traurig, zum einen über die vielfältigen verluste an wild- und auch an kulturarten, an landschaften, lebensweisen, sprachen …, zum andern über die aussichtslosigkeit. es sind zwar immer wieder einmal großtechnische lösungen im schwang, zuletzt die idee, europas stromversorgung über eine enorme anzahl von solarkraftwerken in nordafrika abzusichern, aber man sollte auf der hut sein, was derlei lösungen anbetrifft, einmal zeitigen sie unbekannte folgen (stichwort: kompensationsfolgenkompensation), einmal täuschen sie über die tiefe der krise hinweg. unser lebensstandard wird nicht zu halten sein, neue, intelligente technologie hin oder her. neue technologie ist scheinbar immer irgendwie intelligent – im gegensatz zu alten, dummen, tumben, stumpfen, dumpfen dampfmaschinen etwa. („er ist ein delphin im haifischbecken“. der dirigent enoch zu guttenberg über seinen sohn, den minister karl-theodor zu guttenberg, und die rolle von geschichte, musik und adel in der familie, in: sz vom 15.07.09, s. 5; georg etscheit, was joseph haydn mit der klimaerwärmung zu tun hat – enoch zu guttenberg: ein besuch beim dirigenten, in: die zeit vom 19.03.09.)

in einem gespräch über sein neues thomas-mann-buch wird hermann kurzke gefragt, ob er thomas man für den größten schriftsteller (deutscher sprache, wie man wohl einschränkend annehmen muss) halte. er bestätigt dies und fügt an, bertolt brecht sei in der reihe die nummer zwei. mein weg ist der umgekehrte, erst habe ich brecht kennen- und schätzengelernt, danach habe ich bekanntschaft mit dem zauberer gemacht; von solcherlei reihungen halte ich zwar wenig, aber an diesen beiden kommt gewiss niemand vorbei, der sich mit (deutschsprachiger) literatur beschäftigt – und beide, soviel scheint mir sicher, werden mich durchs leben begleiten. (thomas mann. ein porträt für seine leser, münchen 2009.)

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