geträumt: ich lief über die wiese hinterm haus, zwischen den fichten und birken und bergahornbäumen und wurde von einem hahn verfolgt. so oft ich mich auch drehte, er entzog sich immer meinem blickfeld und fiel mich mit sporn und spitzem schnabel aus dem rücken an. – das kommt alles von der rede über den neuen italiener-hahn, der für die schar obererzgebirgischer fichtenscharrhühner angeschafft wurde.

im tagesspiegel verneint der erz-blogger sascha lobo (1) die frage: „braucht man einen apple-laptop und latte macchiato, um ein richtiger bloger zu sein?“, es gebe „ja auch ganz viele zutiefst bürgerliche blogger, wahrscheinlich die mehrzahl“. vermutlich falle ich auch unter die rubrik „bürgerlicher blogger“. – warum eignet sich die bezeichnung „bürger“ zur unterscheidung, einmal im positiven sinn, wenn etwa guido westerwelle von „bürgerlichen mehrheiten“ spricht, einmal im negativen, wenn vom „bürgerlichen blogger“, „bürgerlicher moral“, „bürgerlicher geschichtsschreibung“ usw. die rede ist, immer ein wenig gemeint: rückständig, hinterwäldlerisch, nicht ganz auf der höhe der zeit. als sei ein blogger für gewöhnlich kein bürger, sondern – was auch immer; einmal ist der bürger der leistungsträger, der im schweiße seines angesichts bis zum umfallen und darüber hinaus arbeitet, ja schuftet und damit die gesellschaft zusammenhält („mitte, mitte, mitte“ – man kann es nicht mehr hören), einmal ist der bürger der biedermeierliche philister bestenfalls und schlimmstenfalls schlicht der reaktionär per se: rassistisch und nationalistisch, engstirnig und denkfaul. vielleicht sollte man zuweilen lieber vom „citoyen“ sprechen – unlängst las ich, „bürgermut“ höre (schätze und pflege) man hierzulande nicht so sehr, dabei sei das wort lediglich die übersetzung von „zivilcourage“.

der philosoph thomas pogge charakterisiert die gegenwärtige weltordnung mit ihrem starken gefälle zwischen erster und dritter welt als „massenmord“ und verweist in diesem zusammenhang auf die 50.000 menschen die täglich armutsbedingt stürben; seit dem ende des kalten krieges beziffere sich diese zahl insgesamt auf 300 millionen menschen. „wir, die bürger in den reichen ländern, sind an diesem verbrechen mitschuldig.“ man könnte nun meinen, hier wolle einer den kapitalismus abschaffen, aber es geht pogge nicht um eine revolution zur überwindung des systems, sondern um reformen innerhalb desselben. insofern ist seine position pragmatisch in der tradition etwa von carl bernstein. (zeit vom 23.04.09, s. 36.) – aber ich habe ja keine ahnung; so einfach wie ich junger freund mir das vorstelle, geht es nun weiß gott nicht. als ob mir da nicht klar sei …

(1) ich muss bei dem namen immer an den portugiesischen autor denken …

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wenn der wecker klingelt, weiß ich zunächst gar nicht, was das für ein arges geräusch ist, welche bedeutung es hat. erst allmählich wird mir klar: da klingelt ein wecker, du liegst im bett und solltest aufstehen.

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unterm nussbaum, jenem schwäbischen migranten, der mit dem klima im sächsischen sibirien nicht so richtig warm wird, fand ich ein huhn, das es sich gut sein ließ, sozusagen ein nußbaum-scharrhuhn.

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wenn man vom hörsaalgebäude in die neue fahrrad-tiefgarage steigt, findet man an der wand eingelassen eine schreib-klappe aus einem der hörsäle, beschriftet mit den kommentaren mehrerer leipziger studenten-generationen. eine großartige idee. wenn ich es recht erinnere, wurden vor beginn der umbau-maßnahmen alle diese schreib-klappen fotografiert. eine quelle ersten ranges für die universitätsgeschichte von unten. – ich hatte die tafel schon am freitag entdeckt und beschlossen: das musst du fotografieren. freilich kam ich mir mit meiner kamera, wie ich mich im hörsaalgebäude zu schaffen machte, schon ein wenig merkwürdig vor. zwei-drei leute kamen auch vorüber, die dachten sich zweifelsohne ihren teil.

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der literaturwissenschaftler george steiner wird im deutschlandfunk anlässlich seines 80. geburtstages zitiert: „stärker als jeder andere akt der zeugenschaft sprechen literatur und kunst von den widersetzlichkeiten des undurchdringlichen, des fremden, auf das wir im labyrinth der intimität stoßen. sie sprechen vom minotaurus im herzen der liebe, von verwandtschaft, von höchstem zutrauen. der verfasser erläutert: „ein wunderbar altmodisches konzept. es setzt voraus vertrauen ins fremde, es ist ein lob der nachbarschaft, es meint den versuch, das eigene im fremden zu erkennen – und umgekehrt. große dichtung, sagt steiner, ist belebt von den ritualen des wiedererkennens, und heimat kann er sich insofern nur vorstellen als kritische masse von erinnerungen – und als ort des schweigens (…)“ (http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kalenderblatt/952775/ [letzter zugriff: 27.04.09]). – wie gesagt: heimat ist ein emotionsteppich (neo rauch), ein dichtes gewebe von gefundenem und erfundenem, das über eine bestimmte landschaft gelegt wird, new york city, die krim – oder eben das erzgebirge.

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sich er-tragen können

unterm pflaster sand, strand / unterm strand gestein / daraus macht das wasser wie aus dem pflaster / sand.

mal trag ich dich / mal trägst du mich / so kommen wir weiter / als alleine und je / gedacht – an orte / die wir alleine nie zu träumen wagten / kein böses wort über das / reptilienhirn / mal trägt sie ihn / mal trägt er sie / küss mich / sprach der prinz zur fröschin / ich bin ein / verwunschner kröterich / wer definiert uns schon / das glück / mal trägst du mich / mal trag ich dich / sich er-tragen können …

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der blick aus dem neuen innenhof der universität leipzig – dem so genannten leibniz-forum – hinauf zum buchturm (hans mayer sprach bekanntlich vom “turm zu babel”) – dem so genannten „weisheitszahn“ (1) – erinnert mich dieser tage immerzu an das haus des mexikanischen architekten luis barragán: http://www.schaetze-der-welt.de/galerie.php?id=318&pic=5 (letzter zugriff: 25.04.09). – man beachte den mond, der aus dem himmel lugt.

die „pechblende“ ist ein romantisches projekt, insofern jedenfalls, als sie keine vollständigkeit erreichen möchte, weil sie sich deren notwendigem, nachgerade zwangsläufigen scheitern bewusst ist. die literarische form des tagebuchs ist nicht unbedingt als ein tage-buch zu begreifen, das sich durch regelmäßige, bestenfalls tägliche niederschrift persönlicher befindlichkeit auszeichnet. vielmehr handelt es sich um eine form, mit deren hilfe sich das formlose fragmentarische fassen lässt. dabei ist das chronikalisch-annalistische organisationsprinzip lediglich eine hülle, die zwar bei den unregelmäßig fortgesetzten einträgen und ihrer überarbeitung (oder besser: kommentierung, um die authentizität möglichst zu erhalten) – im sinne einer „poetik der fassungen“ (ernst jünger) – berücksichtigt werden, die aber gleichzeitig den inhalt nicht derart überdeterminieren sollte, damit die aufzeichnungen keineswegs allein summarisch-bilanzierend, weder narzistisch, noch selbstgeißelnd ausfallen.

(1) wer will ihn der roten universität denn ziehen, die karle marx fröhliche urständ feiern lässt – wer wagt es, rittersmann oder knappe …

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auf der anderen seite der straße, fast genau auf gleicher höhe über normalnull, gräbt mein nachbar eine vergrößerung für seinen forellenteich, der, von der straße gut einsehbar, nach der vorbesitzerin des grundstücks kamilla-quelle heißt; acht meter weiter gen westen sitze ich im alten kuhstall, der zum arbeitszimmer ausgebaut wurde (1), am schreibtisch und gehe meinen dingen nach.

auf dem weg nach leipzig überholten mich bei borna einige fahrzeuge mit annaberger, freiberger und neuen erzgebirgs-kennzeichen. ich dachte mir: die erzgebirg(l)er kommen aus ihren höh(l)en gekrochen.

während ich am alten platz parkte, fuhr ein pärchen vorüber. die frau ähnelte ein wenig l. k., ich lächelte sie an, ich kann nicht sagen: warum? – und sie lächelte, noch rätselhafter, zurück. – ein neues erlebnis, das ich in meinen hamster-bau tragen und mich darin daran freuen kann.


(1) sic transit gloria mundi …
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baum-gespenster

verkleiden sich / mit laub und blüten, / sodass du glaubst, / durch einen park zu laufen, / aber hinter deinem rücken / strecken sie die äste / gierig nach dir aus.

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im regen lief ich durch die stadt, hielt meinen kopf und meinen rücken gerade; nach einer weile stellte sich eine befriedigung, ja eine zufriedenheit ein, erhobenen hauptes regen und kälte zu ertragen. du trägst einen innenraum durch die welt, der un-angreifbar ist, kam mir in den sinn.

obwohl ich nur wenig schlief und früh aufstand, kam ich im großen und ganzen zu: nichts. soll heißen: keine zeile. am späten nachmittag kehrte ich heim, setzte mich in den sessel, fand aber keinen schlaf, es war kühl, ich hatte nicht viel gegessen und durch das geöffnete fenster drang vom alten platz lärm und vogelgezwitscher. ich blätterte durch die lyrik-bände von heaney, aber ich fand mich nicht so recht in die gedichte hinein; zuletzt setzte ich mich aber doch an die schreibmaschine und tippte ein paar: zeilen. auf diese weise war der tag gerettet, denn nulla dies sine linea …, und ich konnte gelassen in den abend gehen. als es klingelte, war ich noch nicht ganz damit fertig, einen eindruck vom morgen zu notieren, als ich durch den park fuhr; ich schloss es rasch ab und stürmte aus dem haus.

eines von heaneys gedichten nimmt einen gedanken vorweg, der mir vor einiger zeit, teils aus eigener erfahrung, teils aus der beschäftigung mit thomasius‘ sittenlehre gekommen war: lieb, vervollkommnen werd ich für dich das kind, / das selbstvergessen in meinem schädel schafft, / mit schwerem spaten, bis soden aufgeschichtet sind, / oder durch den schlamm des tiefen grabens stapft (…) (gedicht, in: ausgewählte gedichte, münchen/wien 1995, s. 14.) – ich las es wiederholt, ich las es laut; wie beim abschiedswort (ebd., s. 13), bei diesem vielleicht noch stärker, haben sich dort schlichtheit und genauigkeit verbunden. insofern ließe sich die frage, was ein gedicht sei derart beantworten: die bezeichnung eines kühnen gedankens, die präzise auf dessen wesentlichen gehalt reduziert worden ist.

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