ich laufe in der wohnung herum und fotografiere, was mir vor die linse kommt: bücher- und zeitungsstapel, schrullige hausschuhe. wenn der fotowettbewerb eben nicht so recht glücken mag, muss ich eben selbst nach motiven von studentisch-universitärer lebenswelt und insbesondere schreibtischen bzw. arbeitsplätzen schauen. mir kommt es nicht auf den künstlerischen reiz an, ich habe ohnehin keine ahnung vom fotografieren, mir geht es um das dokumentarische. in gewisser weise, da trifft der vorwurf des merkwürdigen herrn f. durchaus zu, arbeite ich geheimdienstlich-observativ – aber es ist mir nicht darum zu tun, etwa strafbares fehlverhalten zu dokumentieren, sondern schlichtweg verhalten. aus neugier zum menschen (klingt wie eine partei-parole). ich will die wirklichkeit in den griff bekommen, zumindest ein stückweit. — das kann doch nicht so schwer sein: über das jahr verteilt zwanzig-dreißig studierenden-quartiere einschließlich  der arbeitsplätze zu fotografieren – und einen abzug davon dem universitätsarchiv zu überlassen. nur der dokumentation wegen. ein neues fachgebiet: universitäts-ethnografie. — w. hat recht: einfach machen, durchbeißen und machen, sei es waffelteig, sei es asbestbeton. und wenn wer schreit: doof! ignorieren oder zurückgeifern: selber!

r. rät zum westfälischen frieden und von dem graduiertenkolleg ab. wenn ich eindruck machen wolle, möglicherweise auch international, dann sei das ursprüngliche thema in jedem fall besser geeignet. eindruck machen –  eindruck schinden. aber ich höre die nachtigall schon leise herantippeln: wenn’s nicht klappt, ist nur ein leben vergeudet und ein manuskript nicht geschrieben, im graduiertenkolleg fiele ein scheitern stärker ins gewicht, wäre öffentlicher und könnte nicht nur mit dem fehlenden fleiß, der fehlenden disziplin, dem fehlenden selbstvertrauen, den fehlenden fertigkeiten – kurz: den fehlern des kandidaten erklärt werden. – aber wer redet denn vom scheitern. also: kursachsen und der westfälische frieden. sollen sich schon noch wundern. allezamm, wie man im erzgebirge sagt. eine gewisse bockigkeit an den tag legen und auf eigenständigkeit bestehen: feuilletonistisch, aber trotzdem solide. — auf vermeintliche aufmunterungen, ja scheinbare beweise für achtung und respekt darf man nichts geben, ich bin in diesem kontext nur eine figur auf dem spielfeld, für deren innenleben kein interesse besteht – was die figur anders sieht, ihren eigenen kopf hat und sich zur wehr setzt.

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wer liest diese zeilen wohl inzwischen? welche kreise mag das mittlerweile ziehen? blogger r. – klingt eher witzig als ernstzunehmend.

(…) tagebuch schreibt man mit sich selber – und ein weblog setzt man ins netz und will ’ne antwort haben und man schreibt im bewusstsein der andere liest das – und dann hat sich ja herausgestellt , dass (…) es auch kaum weblog-schreiber gibt, die über lange zeit dabei bleiben … also wie bei uns, dass man vierzig oder sechzig jahre geschrieben hat, das ist beim bloggen wohl auch nicht der fall (frauke von troschke).

(…) bloggen ist ein bisschen wie andere leute in sein wohnzimmer lassen. so wie wenn gäste kommen. man weiß, die andern kriegen etwas von einem mit, aber man zeigt nicht alles. man lässt die leute quasi nicht in sein schlafzimmer rein. gibt es vielleicht auch, so solche letztlich ganz intimen einblicke, aber meistens bleibt man im wohnzimmer (tine nowak).

(zit. nach: lasse ole hempel/ moritz von wissel: wenn die zeit nicht vergeht. das tagebucharchiv emmendingen, in: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/laenderreport/921291/; 05.03.09.)

dieser vergleich ist ganz passend: weder zeigt man sein bett noch seinen keller mit den leichen darin. – es gibt noch eine ausführliche, unzensierte fassung, die irgendwann womöglich in einem archiv landet, versehen mit einer ordentlichen sperrfrist: depositum richter sozusagen …

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zum schluss umarmte sie mich. und ich lief durch die regnichte leipziger nacht und fühlte mich abermals wie ein adagio, dieses mal indes nicht leidend, vielmehr wie ein adagio voller gemessenheit, der held schreitet tapfer weiter, mühevoll, langsam, bedächtig, aber vorwärts, wobei jeder schritt erfüllt ist von der seelenauslotenden materialität des klangs. kein gleitendes wasser, ein gletscher vielmehr, der sich vorwärtsschiebt. adagio molto grave. schönheit im dulden sei das wesen der sebastiansgestalt, sagt thomas mann 1929 in stockholm. – naja: schönheit im dulden ist vielleicht ein wenig zu arg aschenbach. die proletarisch-postmoderne variante lautet wohl eher: nehmen, was man bekommen kann und das beste daraus machen. denn man kann auch vor sich hindulden und leiden – und darüber alt und grau werden, was  auch nicht gerade sinn und zweck des dasein ist, sinn und zweck einmal grundsätzlich als gegeben vorausgesetzt.

mir bleibt meine poesie, sie ist vielleicht das einzige beständige in meinem leben, während die empfindungen hindurchgehen; die menschen streifen durch die kammer, in der ich sitze und hocke, aber keiner bleibt, weil keiner bleiben kann. — ich stehe in der tür von u.s zimmer, sehe hinein und während ich mich frage, was sie eigentlich tut, wird mir deutlich, dass ich in den vergangenen jahren meinen willen verloren habe. mit einer unerwarteten heftigkeit und wucht ergriff mich die frage: was willst du tun? und die massivität der frage machte auch die antwort so deutlich: sie lässt sich vielleicht nicht sprachlich fassen, das wäre lediglich ein ungelenkes ansammeln von worten und plänen, es ist auch keine anweisung wie etwa das augustinische nimm und lies!, es handelt sich vielmehr um ein gefühl von klarheit und gewissheit.

schreiben ist die essenz meiner existenz (heiner müller). – essenz kann man auch durch wesenskern ersetzen, dann stimmt es noch mehr.

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ich hörte im halbschlaf eine dumpfe erschütterung, die wohl vom schnee herrührte, der vom dach rutschte, aber ich vermutete dennoch einbrecher und erwartete entweder einen schlag mit einem dumpfen gegenstand auf den kopf oder das geräusch einer abgefeuerter pistole mit schalldämpfer. – später träumte ich, ich stünde am waldrand und sähe zu den wipfeln, dort tauchte plötzlich ein monolith auf, wie man ihn aus kubricks 2001 kennt. unbekannte schriftzeichen leuchteten glühend-rot darauf. er verharrte einen augenblick und verschwand dann sehr schnell im nachthimmel.

die ereignisse um das verschwinden der ddr macht eines offenkundig: man muss an die quellen, immer an die quellen; in der literatur findet man nur denkmuster – paradigma. und mit den denkmustern, die im schwange sind, bin ich nicht zufrieden.

die kunsthistorikerin m. ist davon überzeugt, dass cicero zu lesen bessere menschen macht – die illusion des humanistischen gymnasiums aus dem 19. jahrhundert. sie zerstob in den schützengräben vor verdun. – – was nützt dem zoon politikon ciceros schrift über die pflichten, wenn die pflicht lautet: maul halten und befehle ausführen? üb immer treu und redlichkeit … – den mut zur absoluten isolation, die civil disobedience kann man bei cicero lernen, man kann sie auch bei thoreau finden – oder beim streiken in der lehre.

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im dlf das porträt des ukrainischen schriftstellers taras prohasko (23.02.09; www.dradio.de/dkultur/sendungen/profil/923025/):

dieser ort bedeutet für mich eigentlich alles. alles, was ich denke, erlebe und fühle, ist mit dieser landschaft verbunden. auch wenn ich woanders bin, die art und weise, wie ich die welt sehe, hat hier ihre ursprünge.

das ist der ort, in dem ich mich einfach auflöse. es ist das gefühl, als wären hier  viele geschichten gleichzeitig anwesend. hier, so habe ich einmal geschrieben, erinnere ich mich an dinge, an die ich mich eigentlich gar nicht erinnern kann.

das entspricht meinen empfindungen zum erzgebirge im engeren und zu mitteldeutschland in mitteleuropa im weiteren sinn. heimat ist ein emotionsteppich, der über die landschaft gelegt ist, sagt so ungefähr der leipziger maler neo rauch. ich habe in einem aufsatz einmal von einem semiotischen heimatbegriff gesprochen. heimat sei ein vielfältig verwobenes bedeutungsgefüge, das auf eine bestimmte landschaft gelegt werde; diese landschaft sei damit der signifikant für das signifikat von „heimat“. und über die wanderung auf den spitzberg/velký špičák im vergangenen sommer schrieb ich: (…) das gedächtnis der verstorbenen, / die hier überall begraben liegen, / ist tiefer ins gebirge eingesintert / und hat sich zu gebilden eigner art / mit dem gestein verbunden. – also doch auf dem richtigen weg? da es vermutlich gar keinen „richtigen“ weg gibt, zumindest auf dem weg und einige bestätigungen am wegesrand, die weiterlocken.

es schneite unentwegt bei temperaturen um den gefrierpunkt, was den schnee beim schippen schwer machte und ihn an der schaufel haften bleiben ließ. – mittlerweile ist schnee nicht mehr in „winter“ eingeschrieben, weshalb man von einem schnee-winter in abgrenzung zu einem gewöhnlichen winter sprechen muss, der sich durch nasskaltes, trübes wetter auszeichnet, aber nichts mehr gemein hat mit einem erzgebirgswinter, wie er im buche stand vorzeiten.

abends sah ich ein gespräch zwischen (dr. med.) uwe tellkamp (arzt und autor) und alexander kluge. sie sprachen über halberstadt und den bombenangriff darauf einerseits, dresden in der spätphase der ddr andererseits und grundsätzlich über relikte von vergangenheit, die in die gegenwart schießen, die verwandlung von realtität in literatur bzw. die entstehung von realtität durch literatur und die revolution 1989. nicht nur kluge stellte fragen, auch tellkamp erkundigte sich über kluges erleben und erinnern in form von literatur. – kluge kam auf den palast der republik zu sprechen und der unbedarfte zuschauer, der ich vor jahr und tag gewesen war (und in den ich mich noch immer ganz leicht versetzen kann), hätte denken können: was der kluge alles weiß – nomen est omen. aber was er über den palast der republik sagte (der stolz der ingenieure, die mit dem bau ein einziges mal ihre fähigkeiten nicht dafür gebrauchen mussten, maschinen am laufen zu erhalten, die ihre großväter und urgroßväter gebaut hatten, sondern sich an etwas gänzlich neuem versuchen durften), hatte er aus dem gespräch mit dem publizisten moritz holfelder erfahren, das er vor geraumer zeit geführt hatte – und das mich über die rolle der ingenieure in der ddr und beim transformationsprozess vor zwanzig jahren nachdenken ließ und noch immer nachdenken lässt.

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der holzbildhauer hans brockhage ist gestorben. er wurde in schwarzenberg geboren und lebte dort auch. das erzgebirge mit seiner reichen und langen schnitztradition prägte sein schaffen – der satz könnte freilich auch in einer ausstellungsbegleitenden broschüre stehen. gebrauchsprosa: bäh.

in der debatte um die leipziger universitätskirche, die ein „geistlich-geistiges zentrum“ für die alma mater sein soll, fiel mir ein: das gesprochene wort, das grübelnde, zweifelnde wort ist das geistige zentrum der universität, allein dadurch wird sie zu einem ort privilegiert, an dem man wagen kann zu denken – und unvoreingenommen alles in frage stellen. so äußerte ich mich auch mehrfach öffentlich. abends las ich eine textsammlung, die der studentinnenrat vor drei jahren herausgegeben hat, und fand darin ein ganz ähnliches zitat von jacques derrida: die universität müsste also auch der ort sein, an dem nichts außer frage steht … (die unbedingte universität, frankfurt am main 2001, s. 14).

was macht den lyriker, frage ich ein letztes mal, vielleicht. die weite der empfindung, die tiefe der gedanken? mir fehlt beides. scheint mir. aber ja: ich wünschte, ich wäre einer. und wenn ich das glück spüre, wie es mich streift zwischen den zeilen, bin ich einer und keiner kann mir dieses glück nehmen und dagegen einspruch erheben. es ist so!, sagt sesemi weichbrodt – und damit hören wir auf, fangen wir an. – fangen wir an … – – ein langgedicht, das die poetisierung des gebirges mit dem persönlichen bildungsroman verknüpft – und etwas ganz anderes ist; ein langgedicht, das individuelles erleben und die ereignisse der großen politik im schuljahr 1989/90 einerseits verbindet mit der bildung von erinnerung  an die  komplexe wirklichkeit ddr durch gestaltung von erzählung über die ddr und ihren untergang andererseits.

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sankt valentins tag: herzchen finde ich ohnehin, mir fällt kein treffenderes wort ein: doof. ich erinnere mich daran, wie ich vor einigen jahren in der straßenbahn richtung lindenau saß. etwa in höhe des elsterflutbeckens fiel mir ein blumenstrauß auf, den ein junger mann ungeduldig in händen hielt. dieser anblick machte mich traurig. massenweise werden blumen angebaut, ohne rücksicht auf die pflanzen, ohne rücksicht auf gärtner und blumenverkäufer, allein mit rücksicht auf die maximierung von profit. der käufer in irgendeiner kleinen ecke der welt sieht nicht diese umstände, er sieht nur, wem er die blumen schenken wird und legt in sie so viel bedeutung und herz hinein. – man verschenkt nur blumen, die man entweder selbst gepflanzt und gehegt oder die man … am wegesrand gefunden und gepflückt hat.

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was tue ich? ich sitze im lesesaal der deutschen bücherei, lese lyrik, lasse meine blicke schweifen und hänge versen nach. aber abends fühle ich mich glücklich: einen tag verbracht zu haben mit lesendenkenschreiben. dieses zeitfressende, niederschlagende schwätzen und dienern. etwas zu tun haben.

pursuit of happyness // nach beschäftigung / streben / nach glück, /- sinnvoller.

während ich im foyer der albetina doubletten jagte, kam mir in den sinn: ich lese deshalb kreuz und quer und versuche mich probeweise an diesem oder jenem thema, weil mir das thema noch fehlt – oder vielmehr: es liegt im trüben und ungewissen, ich kann es noch nicht so richtig fassen. aber es ist da. es ist da. steh auf, setz dich an deinen schreibtisch und fang an. fang an. denn auf den donnerschlag zu warten, auf die stimme im garten: nimm und lies, ist gefährlich, weil weder donnerschlag noch stimme erklingen müssen.

jasmintee trinken und sich fragen: wie lautet die chinesische version von giuseppe ungarettis m‚illumino / d’immenso?

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geträumt: ich sei ein junger wehrmachtsangehöriger kurz nach dem ende des krieges. vom kommandanten eines amerikanischen kriegsgefangenenlagers werde ich zu einem sowjetischen kriegsgefangenenlager geschickt, um zwei sanitätssoldaten überstellen zu lassen. das sowjetische lager liegt vor den toren breslaus. nach einigem zögern des sowjetischen kommandanten gewährt er seinem alliierten die bitte; der ranghöchste deutsche offizier solle die beiden sanitätssoldaten benennen. zur auswahl stehen drei brüderpaare. der deutsche offizier macht sich einen scherz und verschmilzt jeweils die vornamen der brüderpaare, ich finde das nicht gerade amüsant, aber ich habe andere sorgen. schließlich wird das älteste der paare gewählt, seltsamerweise sind alle einverstanden, obwohl damit für sie eine chance vertan ist, nach westen zu gelangen – sibirien dräut am horizont. – ich trotte mit den beiden los, aber es bleibt rätselhaft, wie ich als deutscher kriegsgefangener mit zwei kameraden durch das besetzte land kommen soll und kann. alsbald wird indessen offenbar, dass es sich nicht um ein brüder-, sondern um ein geschwisterpaar handelt, einer der beiden ist eine frau. ich komme mit ihr ins gespräch und beginne mich für sie zu interessieren. während wir durch mehr oder weniger zerstörte städte kommen, schwärmt sie von thomas manns goetheroman. vielleicht fänden wir durch zufall unterwegs ein exemplar. dabei fällt mir ein, mit halbem bewusstsein weiß ich um meine verortung im frühen 21. jahrhundert, ob man bei kriegsende in deutschland lotte in weimar überhaupt schon gelesen haben konnte – gab es eine verfügbare deutsche ausgabe? – während ich durch den wecker aufwache und in seinen schweigeminuten wieder einschlafe, entspinnen sich handlungsstränge und ich habe großes verlangen, diese geschichte ausführlich aufzuschreiben. das macht die irving-lektüre: einfach schreiben. — ich höre im traum immer wieder den namen: israel beitenu, israel beitenu, israel beitenu …

charles darwin sieht aus wie so ein alter, ehrwürdiger kirchenvater; an die wand meines schreibtischaufsatzes, die mir immer vor augen ist, habe ich ein bild des apostel paulus gehängt, das ich in einer zeitung fand – wie charles darwin sieht er aus, der auf seine art auch ein apostel und kirchenvater ist.

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texte sind nicht nur nicht mehr wertvoll, sagt vilém flusser in seiner letzten vorlesung 1991, sie sind unrat. – was er wohl zu der sintflut an texten sagen würde, die durch personalcomputer und deren vernetzung über die welt mittlerweile hereingebrochen ist. die assoziation liegt nahe: sündflut der texte, aber sie ist auch recht einfältig und man müsste die reihung fortsetzen: sinnflut.

… sagt der kommunikationsphilsoph vilém flusser. – was ist ein kommunikationsphilsosoph?

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