ich bin immer furchtbar müde und kann halbe tage verschlafen – ursache oder folge einer depression?

ein älterer mann in sport- oder freizeitgarnitur führt seinen winzigen hund aus; er macht dabei ganz kleine trippelschritte, scheint also sehr schwer noch gehen zu können. – wie geht man mit solchen menschen um, die scheinbar völlig ineffizient sind und nur der solidargemeinschaft zur last fallen? (wohlgemerkt, ich rede nicht von „effizienz“ und „belastung der solidargemeinschaft“, der wert jedes einzelnen steht nicht zu debatte; die würde des menschen in einer gesellschaft lässt sich ablesen an ihren schwächsten und ärmsten gestalten …) – wenn man immer gegen die ökonomisierung wettert, aber selber alles unter wirtschaftlichen gesichtspunkten betrachtet und etwa sagt, wie leistungssteigernd sich das soziale engagement eines unternehmens auf die produktivität der mitarbeiter auswirkt, ist man der spinne „neoliberalismus“, die man so verteufelt, trotzdem ins netz gegangen.

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geträumt: in der haustür traf ich eine frau, dunkle lange haare, sonnengebräuntes gesicht, schwarze augen, sie trug einen blauen pullover. ich blieb in ihren augen hängen und sie in meinen; wir sahen aneinander vorbei, sahen uns wieder in die augen. ein sehr hübsches gesicht, ich war völlig von ihr eingenommen. immer wieder wird der blick gesucht. irgendwann einverständnis, wir traten aufeinander zu, näherten unsere gesichter einander und küssten, umarmten uns.

als ich gestern durch den sonnenschein lief, wurde mir deutlich, in welchem maß man autodidaktisch arbeiten muss in sachen poesie: mir empfahl niemand einen prosaautor oder einen lyriker. alles mühsames suchen, kaum systematisch, vielfach allein durch den zufall bestimmt, eine zeitungsnotiz, ein zufallsfund in einer bücherei oder einem antiquariat.  try and error. andererseits kann es wohl schwerlich einen masterplan geben. wenn man sich zur unzeit durch den ulysees quält, ist einem joyce für immer vergällt. mit wachem auge durch die welt laufen, aufmerksamkeit trainieren, mehr kann man wohl in dieser angelegenheit nicht tun. man kann sich über poetry slammer aufregen, die, von einer gängigen mode angelockt, mehr oder minder klapprige texte zusammenklopfen. aber immerhin handelt es sich hier um jemanden, der mit sprachbegeisterung infiziert ist. es kann gut sein, dass er in ein paar jahren auf die texte von brecht stößt, novalis und hölderlin entdeckt und dann dauert es nicht mehr lang und er ist bei andreas gryphius. (georg ringsgwandl, angriff der käuze. eine neue initiative will mal wieder das deutsche vor bösen anglizismen retten. wie cool ist das denn? eine kleine realitätsrundschau, in: sz-wochenende 7 vom 10.01.09, s. I.)

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im radio ein interview mit einem bildungshistoriker; es gälte nicht, mit der bologna-reform humboldt etwa abzuschaffen, sondern vielmehr humboldt zu universalisieren. humboldt reloaded, sozusagen. er sprach außerdem über die illusion, bildung ermögliche per se sozialen und ökonomischen aufstieg; das schleifen akademischer grade: je höher der abiturienten-, akademiker- und promoviertenanteil steigte desto strenger würden die zugangsvoraussetzungen. was bedeutet noch ein abitur, ein hochschulabschluss, eine promotion? muss man bei diesem irrsinnigen wettrennen mitmachen? das ist eine entscheidende frage: sich aufopfern für den profit oder den ehrgeiz und die ruhmsucht anderer leute.

leben / einzeln und frei / wie ein baum / und brüderlich / wie ein wald / ist unsere sehnsucht (nâzim hikmet).

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ich blättere in martin walsers tagebüchern und finde zuhauf sätze, die ich selbst unterschreiben und demzufolge notieren möchte. aber dabei würde ich mir nur den eindruck vermitteln, ich selbst vermöchte auch solche sätze zu schreiben. und wie sieht es aus? auf tausend sätze geschwätz kommt vielleicht einer, den man ein zweites mal überlesen kann.

ich sitze im sessel und beobachte den sekundenzeiger auf meiner wanduhr. er verharrt für einen teil einer sekunde in einer bestimmten stellung und jeder einzelne dieser augenblicke hat das potential zur ewigkeit.

wie prekär und labil sind beziehungen, die allein auf die freiwilligkeit beider partner beruhen. wer wählt das schwierige, das kurzfristig als das schwierige erscheint, aber auf dauer mehr bietet, wo es einfach ist, einen strich zu ziehen und allein seine dinge zu betreiben, das einfache, das sich langfristig probleme und schwierigkeiten mit sich bringt: sein leben alleine verbringen. wer übersieht schon zwanzig, dreißig, vierzig jahre – aber solche entscheidungen kann man nicht beliebig oft treffen. irgendwann ist es zu spät und früher als man denkt. – wie auch immer: mein ideal, meine utopie bleiben philemon und baucis.

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heiner müller, der eppendorfer, mithin: erzgebirg(l)er, wurde vor achtzig jahren geboren. – worin besteht der sinn dieses notats? die tatsache, dass h.m. am 09. januar 1929 in eppendorf geboren wurde, kann man in jedem lexikon nachlesen; dass eppendorf im erzgebirge liegt, ergibt sich aus jeder karte. es kann folglich keine mitteilung aus glanzgründen sein. oh, der erzgescheite! – nein, nein. da weiß einer nicht, was er schreiben soll, da fällt einem nichts ein. aber er muss ja zeilen produzieren, immerfort zeilen produzieren. (warum, warum nur, wer zwingt ihn dazu?) also füllt er sie wahlweise mit allgemeinplätzen, uninteressanten befindlichkeiten oder zeitungsmeldungen. – es müssen freilich auch immer geschliffene oder scharfsinnige sätze sein …

meine wörter sind alle blass und hohl. sie werden nicht leuchtender und üppiger durch wiederholung. mein karger wortschatz. wortarmut. wortbankrott anmelden. ach, eine axt nehmen und sich selber in so kleine teile spalten, dass man einfach verschwindet. – wo heute eine galaxie ist, strahlte vorzeiten ein stern der ersten generation. die schwarzen löcher in den zentren der galaxien sind die reste dieser sterne. sternenstaub – mir wird ganz schlecht von diesem pathos, halb romantik, halb science fiction. meine wörter sind blass und hohl. mir fällt keine ungewöhnliche kombination ein, mir fällt kein selten gewordenes ein. kummet, hunt, erlenmeyerkolben, pleulstange, quirl, schamottstein, klatschmohn, bowdenzug. – ein vogel flog vorbei und setze sich kurz auf einen baum – ein fischreiher glitt durch die luft und ließ sich für augenblicke im wipfel einer einzelstehenden fichte nieder. das eine ist trivial, das andere manierismus, kunsthandwerk. – durch die welt gehen und singend alle dinge benennen. — es ödet mich an, es widert mich an: sich selbst die eingeweide herausreißen, haut und fleisch abschaben bis auf den knochen. auslöschen, vergehen, sich zusammenknüllen und in den papierkorb werfen. ich drehe mich in einem teufelskreis immer weiter und immer schneller um mich selber, ich bin todmüde, aber ich kann nicht schlafen, meine hände sind eiskalt, ich friere am und im ganzen leib, ich esse nichts und trinke nur kaffee, der mich innerlich zerfrisst, sauer und faulig. brackwasser.

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im sommer soll sie abgerissen werden, die anger-fabrik. wo die stützen und gefäße der erinnerung verschwinden, entgleitet die vergangenheit erst in den nebel, dann in die finsternis, so wie sich das gedächtnis der menschen erst trübt und dann vergeht. es ist eine schöne vorstellung, die erinnerungen der gestorbenen versickerten im gestein des gottesackers und würden dort zu eigenartigen gebilden verwandelt wie versteinerte korallen, aber das ist nur eine vorstellung. wenn der faden abreißt, ist alles verschwunden, was daran hing. man mag fragen: wen kümmert schon der alte kram? man mag sagen: reißt doch diese alten ruinen ab, häßlich und modrig wie sie sind. aber auch wenn die vergangenheit nicht mehr greifbar, nicht mehr zu erinnern ist, weil die zeugnisse verschwunden sind, bleibt sie doch wirk-mächtig und wir bleiben gezeichnet und gestempelt. wollen wir nun wissen, wer wir sind, können wir keine antwort finden, wenn es keine relikte mehr gibt. gewiss sehen wir allenfalls in einen verschwommenen spiegel, aber ohne kenntnis der vergangenheit tappten wir völlig im dunkeln, in der gegenwart, im stehenden jetzt.

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als ich auf der treppe zum dachboden stand (oberer boden – ieberer budn, wie es im erzgebirge heißt), erinnerte ich mich, wie ich im sommer immer am nachmittag nach der schule dorthin schlich, ein sessel stand vor dem fenster, das nach süden ging, und las oder schlief. romeo und julia auf dem dorfe, erst gezwungenermaßen, bald mit wachsendem interesse; schnitzlers traumnovelle, mario und der zauberer; vermutlich auch einige lyrik. – freilich ließe sich nun eine geschichte spinnen. heimlich gelesene literatur, ein verstecktes refugium unterm dach. aber erstens wäre dem nicht so, ich durfte immer lesen, was und so viel ich wollte – nur wusste ich anfangs nicht, was ich lesen sollte (wer hätte’s mir auch sagen können?) – und oft habe ich auch einfach keine lust, statt dessen sitze ich im sessel und lasse die welt an mir vorüberziehen.

am späten nachmittag begann es flockig zu schneien und setzte sich am abend fort: im lichtkegel der natriumdampflampen in der talstraße – salzerweg – die ich von meinem fenster aus sehe, fällt der schnee, wie man es sich für den winter vorstellt. seltsamerweise beruhigend, wie ich in meinem warmen arbeitszimmer an meinem schreibtisch sitze, während sich draußen der schnee anhäuft.

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momente des wartens. wieviele stunden habe ich beim warten an den tankstellen in den letzten fünfundzwanzig jahren verbracht? ich sitze im wagen und warte und sehe eine straße entlang: ich erinnere mich, wie ich vor 10 und 15 jahren an derselben stelle saß und wartete.

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kaum erhält man eine freundliche nachricht von einem menschen, einer frau, der, die einen beeindruckt hat, springt schon die deutungsmaschine in der großhirnrinde an und spinnt erzählungen …

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die bäume, die mit raureif überzogen sind, in der knapp verschneiten landschaft: die formen lösen sich zugunsten grafischer elemente fast vollständig auf.

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