geträumt: ich sähe auf die „karte der wahren namen“, dresden bedeutete „die herrin“, auf der arabischen halbinsel gab es eine stadt, die trug den namen „stadt des buches“, an „kitab“ kann ich mich ganz genau erinnern. – ich stritt mich.

ich erinnere mich genau an ein gedicht, das sich vor jahren fertigte, es muss um 1992 gewesen sein. „äpfel erntet unser opa„, ein gedicht aus setzbausteinen, keines aus dem erleben, wie man das eben so macht und sich nichts weiter dabei denkt. aber ich erinnere mich nicht an den tisch, auf dem ich es schrieb, nicht an den blick aus dem fenster. – mir fällt ein zweites gedicht ein, das den fichtelberg zum thema hatte und das ich auf der reiseschreibmaschine meiner großmutter mühsam tippte, vierzeiler, kreuzreim. wie man das aus der fibel kennt. moderne lyrik war mir unbekannt, ich wusste vermutlich nicht einmal etwas mit den worten anzufangen. und wäre mir ein grünbein-, czechowski-, andruchowytsch oder sonst –gedicht untergekommen, ich hätte darauf reagiert wie der landmann auf haute cuisine. man ist immer beschränkt, man kann sich dessen lediglich bewusst werden und die eigene beschränktheit abbauen – abschütteln kann man sie nie. – s. b. mokierte damals schon, dass ich über (oder unter) das gedicht meinen namen schrieb. meine eitelkeit war immer schon groß, mein leben zog schon damals seine rechtfertigung aus den geschriebenen zeilen. so viel zeit seitdem verstrichen, aber ich kann nichts vorweisen, keinen text, nicht einmal fragmente. immer nur anfänge und träume von texten. ich erinnere mich an die vielen geschichten, die ich mir erzählte ohne sie zu notieren, ich erinnere mich an die faszination von alten karten, die mich zu phantasien in historischer geographie verleiteten. ich erinnere mich an viele stunden des wartens, aber warum bin ich nie auf den gedanken gekommen, das einfach niederzuschreiben, was mir durch den kopf ging. es sollte wohl immer der große wurf sein vom ersten satz an – und diese einstellung lähmt mich bis heute, wenngleich sie sich ein wenig gelockert hat. es besteht also noch hoffnung. die furcht vor dem spott und der entblößung hinderte mich jahrelang am schreiben eines tagebuches. irgendwann, vielleicht 1994/95 sagte o. b., ein draufgängerischer junger mensch, mit dem ich die gleiche klasse besuchte, tagebuchschreiben sei etwas für mädchen. diese aussage hinderte mich jahrelang daran, eines zu beginnen. männlichkeitssozialisation. ich hätte ihm ernst jüngers stahlgewitter und gärten und straßen um die ohren schlagen sollen, mehr traditionelle männlichkeitsvorstellungen geht nicht. – man braucht nach dem beginn aber noch einmal eine reihe von jahren und eine menge lektüre, bevor man eine form findet, die dem eigenen erleben und zugleich dem selbstentwurf entspricht. las ich thomas manns tagebücher, schrieb ich in der art (aber was nützt schon die notiz des tagesablaufs, erst den getroffen, dann jene usw., nach drei monaten erinnert man sich nicht mehr und eine fremder leserin versteht es gleich gar nicht), las ich ernst jüngers tagebücher, schrieb ich in seiner art. erst die kempowski-tagebücher, wohl auch die von hanns cibulka und die wiederaufnahme des führens von notizbüchern, das ich in großem maße s. verdanke, brachten mich zu einer form, mit der ich zufrieden bin, auch wenn ich nach drei monaten darüberlese. der zweifelzwerg in meinem ohr flüstert: was heißt schon zufrieden, man braucht viele jahre, ehe man zwar immer noch scheitert, aber auf einem niveau, das man ertragen kann; heute meint er es gut mit mir, heute lässt er in seine skrupelsuaden zuversicht einfließen. – es kommt weniger auf das chronikalische an als vielmehr auf das bewahren von einzelnen erlebnisfetzen. unter tausend sätzen darin gelingt einem vielleicht einer, der funkelt. – ich brauchte zehn bis fünfzehn jahre, bevor ich begriff, dass keine notwendigkeit für epen besteht, in denen über große zeiträume eine stringente fabel gesponnen wird, gleich ob sie in möglichen vergangenheiten oder zwischen gedachten sternen platz greift. immer mitschreiben ohne rücksicht auf die beurteilung der bedeutung des notierten allein macht schon ein epos. nicht darauf achtgeben, ob andere einen heute oder dereinst einmal für törricht halten. der zensor im kopf verwirft so viele gedanken, zu viele gedanken. ich denke mit bedauern und betrüben an die unzähligen gedanken, die ich hätte notieren können seit den frühen neunziger jahren, wenn mir das (unterstellte) urteil der andern gleichgültig gewesen wäre (insofern wenigstens, dass es mich nicht am notieren hätte gehindert) und wenn ich mir zugleich selbst darüber im klaren gewesen wäre, dass mit der quantität der notizen (wenigstens bis zu einem gewissen grenzwert) schließlich auch ihre qualität gewachsen wäre. der sinnspruch des tonsetzers johann sebastian bach: wer so fleißig die orgel spielt wie er, werde es darin ebensoweit bringen. außerdem stärkt mir dieses notieren das rückgrat und verlehit mir tiefe, so dass ich währenddessen und kurz danach tatsächlich sagen kann: sum. glückliche tage sind tage des schreibens. um wievieles leichter zu ertragen wären damit die all die vergangenen tage gewesen. um wievieles bestimmter und lauter hätte ich sagen können: sum, censeo, amo. – allein, man darf sich nicht in den irrealis flüchten. sum, censeo, amo.

das assoziative ist das schöne an der offenen form des tagebuchs. die schwierigkeit besteht nicht darin, das mir nichts einfällt. sobald ich einige minuten zur verfügung habe, in denen es gelingt, mich in eine besondere position zur welt um mich herum und in mir zu stellen, fällt mir immer etwas ein. die schwierigkeit besteht darin, etwas passendes und folgerichtiges zu finden, um einen größeren text fortzusetzen, den man gerade in arbeit hat. – der schreibtisch, der überall stehen und aus allem möglichen bestehen kann, dieser schreibtisch als treibtisch, mit dem man die gedanken treiben und sich davontreiben lassen kann. ein floß mit einem schreibtisch darauf, an dem ich sitze, treibt übers meer, ohne dass ich die tatsache so recht wahrnehme.

im radio ein lied, in dem der sänger berichtet, er habe eine frau und zwanzig kinder, seine hundert enkel spielten cricket auf dem rasen. wie sehr ist meine vorstellung geprägt von äußeren einflüssen? wie sehr entsprechen meine vorstellungen denen der andern? und: ist das schlimm? – ich sitze im juli des jahren 205* in einem üppig grünenden garten, hohes gras, büsche, bäume, verschlungene wege. ein eingeschossiges, großes gebäude, mit holz beschlagen und dunkel gestrichen voller bücher und tische: die arbeitszimmerflucht. eine tafel unter einer ulme. daran sitze ich. eine ganze reihe von frauen, töchter, schwiegertöchter, die lebensgefährtin und noch ein paar mehr, die nicht genau beschrieben werden können. hier und da kinder. vereinzelt männer meines alters, die mir besuch abstatten …

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reiner kunze berichtet in seiner büchnerpreis-rede: (…) vor zwanzig jahren, ich war damals wissenschaftlicher assistent, ließ mich mein chef zu sich rufen und sagte: „so, sie schreiben gedichte!“ er hatte sie gedruckt vor sich liegen. und nach einer pause, die ich als sehr lang in erinnerung habe, sagte er: „naja, auch sie werden noch vernünftig werden.“ damit war ich wieder entlassen. (zit. nach: reiner kunze, rede zur verleihung des georg-büchner-preises, in: heiner feldkamp (hrsg.), reiner kunze. materialien zu leben und werk, frankfurt am main 1987, s. 35.)

nach der promotion stünde ich vor der gleichen herausforderung wie heute oder vor zehn jahren. zum einen: wie verbinde ich das forschen und das schreiben, zum andern und noch viel entscheidender: hat mein schreib- und forschungsinteresse bedeutung über meine person hinaus? inwiefern kann ich rat und kritik aufnehmen, ohne mich zu verbiegen. ohne schaden zu leiden an der seele, um es dramatisch auszudrücken. aber die beantwortung dieser frage sollte man nicht unterschätzen, sie ist dramatisch, denn sie berührt den lebens- und wesenskern meines daseins. wenn ich nicht forschen und schreiben kann, was und wie ich will, sei es, weil die ökonomischen voraussetzungen fehlen, sei es, weil es uninteressant und bedeutungslos ist, bin ich nur ein armer, elender knecht. von kopf bis fuß bin ich darauf eingestellt.

das eigentliche problem besteht darin, u. hat das sehr genau erkannt, dass ich selbst zu hohe ansprüche an mich habe und annehme, alle andern täten das auch. so weit, so gut. aber erstens sehe ich keinen gegenbeweis für meine annahme und zweitens kann man doch nicht einfach etwas hinschreiben und sich mit mittelmaß zufrieden geben. freilich: wenn man nur mittelmaß liefern kann, muss man das akzeptieren. ich weiß nicht, ob sich das in meinem fall so verhält; ich fürchte: ja, ich hoffe: nein, nicht ganz … außerdem kann man sein leben nicht mit zweifeln am eigenen tun verbringen, ohne je etwas zu tun. man muss auch beginnen und sehen, wie weit man kommt. das ist mir alles längst klar, aber der entscheidende schritt zur tat, zum ersten, zweiten, dritten … xten satz gelingt mir nicht. wieder auf anfang: das problem der überhöhten ansprüche an die eigenen fähigkeiten.

spätabends eine dokumentation über arthur schramm. „der wald: hüben bäume, drüben bäume und dazwischen zwischenräume. / in der mitte fließt ein bach – ach. // glückauf. arthur schramm.“ – ich frage mich, ob ich nicht auch so eine art arthur schramm zu werden drohe. was mich wirklich beruhigt, ist die tatsache, dass ich ein misanthrop mit sicherheit nicht bin. noch nicht, noch nicht, raunt und raunzt der zweifelzwerg in meinem ohr. – die gegenüberstellung der viten von arthur schramm, dem belächelten, selbsternannten weltliteraten aus der erzgebirgischen provinz, und carlfriedrich claus, dem literarischen grenzgänger aus dem gleichen ort, den zwar kaum einer verstand, von den ansässigen, der aber wohl noch am meisten die bezeichnung verdient hat, wenn man die reichweite von wirkung und bedeutung seiner werke als kriterium heranzieht.

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ich rede überall nur unsinn und geschwätz, schwadroniere vor mich hin, als sei ich der großgelehrte und erzgescheite, der alle in die tasche stecken kann. von wegen: alles lug und trug. wenn ich mein spiegelbild in einer fensterscheibe entdecke, komme ich mir selber vor wie der große zampano. dabei hat dies alles weder hand noch fuß, keinen sinn, keinen zweck. warum ich es tue, ist mir rätselhaft. unter der hand werde ich älter jahr um jahr, aber das einzige, was mir freude bereitet und womit ich zufrieden mein leben verbringen wollte, besteht in den beobachtungen beim umgang mit menschen, dem bedenken und dem verschriftlichen dieser beobachtungen. alles übrige ist aufgesetzt. — freilich kommt man damit auf keinen grünen zweig und ein solches leben, eine solche beschäftigung ist müßig, ja gilt im allgemeinen als gescheitert. aber was will ich machen. weder kann ich aus meiner haut fahren, noch ist es ratsam, weiter leidenschaft zu heucheln, wo nur leidenschaft gewünscht ist. man kann nicht wollen, was man will.

ich habe keine lust mehr, dinge zu tun, die ich ohnehin nur mittelmäßig hinbekäme, vor allem weil ich sie nicht mit leidenschaft betreibe. ganz davon abgesehen, ist ohnehin alles mittelmäßig. mir sagt’s nur niemand. aber ich weiß schon, ahne wenigstens, was von mir wirklich zu halten ist, was man von mir hält. — ein zimmerchen mit einem tischlein, büchern und einer möglichkeit zum schreiben; eine tätigkeit, mit welcher der unterhalt dafür erworben werden kann und die zugleich gelegenheit zur beobachtung bietet.

was wäre denn schon eine promotionsschrift von mir anderes als ein kontingenter text. und nach der promotion wäre mein leben nicht weniger gefährdet und schwankend als heute oder vor zehn jahren.

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jemand sagte: nichts ist hierarchiefrei, aber wir arbeiten dran. ich dachte: das ist ein satz, den musst du notieren. seien wir realistisch: wagen wir das unmögliche. unter dem pflaster liegt der strand.

wir schreiben alle an einem großen text. wir kommentieren und fügen kommentare an kommentare, die sich an kommentare fügen. die wahrnehmung der denkerischen leistung des menschen im niederschlag eines großen textes, der mit gilgamesch und andern frühen schriften beginnt. man fügt immer nur kommentare und minimale ergänzungen an, die man als separaten unter-text in ein buch formt. vor jahren dachte ich mir diesen text als große computerdatei, die sich beständig verzweigt und die offen oder verborgen verweise enthält auf frühere passagen, wodurch der text immer weiter verflochten wird. jeder sitzt in seinem zimmerchen, das er nicht verlassen kann vor einer schreiblesemaschine für den großen text. – das ist so eine packende borges- oder jünger-perspektive. – wir reisen durch den text, sagt ernst jünger. — und wieder ein stück mehr text, verzweigung, verflechtung …

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ich betrachte mich im vorübergehen im spiegel und denke, was ich alles sein könnte, so von außen betrachtet. aber alle möglichen zuschreibungen sind genauso lachhaft wie meine eigenen: historiker, landeskundler, konservativer, denker, mensch. das ist doch alles nicht ernst gemeint, nur eine gaukelei. so tun als ob. wenn auch nicht schlecht, so dass mancher meint, dem sei so. ich denke seit zehn jahren über die fragen nach: wer bist du? was willst du tun? und ich habe immer noch die gleichen antworten, aber keinen beweis dafür, dass sie auch zutreffen. ich will es sein, dies alles, aber ich bin es nicht. nichts von alledem. es genügt nicht, die äußeren handlungen nachzuvollziehen, um das innere wesen einer tätigkeit zu begreifen und in sich zu entwickeln.

was ich will: mich nur noch ums lesendenkenschreiben kümmern, kein antichambrieren (macht auch spaß, aber ist weniger reizvoll als das lesendenkenschreiben), kein unnützes palaver (macht auch spaß, …) – es stimmt schon: es sind glückliche tage, an denen man schreiben kann. und nur diese sind glückliche tage. – lesendenkenschreiben ist eine chiffre, aber wofür? fürs lesen, denken und schreiben? tatsächlich? – die lachen mich doch ohnehin alle aus, wenn sie davon hören. sie dichten wohl auch, fragte r. vor jahr und tag, als er noch eine hohe meinung von mir hatte. inzwischen werde ich ja nur noch mitgeschleppt, weil die richtige konsequenz das soziale gewissen zu arg belasten würde.

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dank eu-fördermitteln sind inzwischen die fabrik-gebäude der einstigen krahl-textilfabrik bis auf die villa und den schornstein abgerissen worden. so verschwindet die alte industrie-kultur sachsens und kaum eine erinnerung bleibt zurück. ich fragte mich, ob und wo wohl das betriebarchiv der firma zu finden sei. ließe sich am ende womöglich noch ein essay dazu schreiben in der art der buddenbrooks: aufstieg, verfall, verschwinden. freilich: tun ließe sich viel, tun ließe sich immer etwas. – es handelt sich bei den bemerkenswerten erdvertiefungen an der kreuzstraße um die so genannten „hut-löcher“, ein huthaus muss bis ins frühe zwanzigste jahrhundert dort auch gestanden haben. bergleute aus preußnitz schürften an dieser stelle nach erzen und gruben die löcher. – eine ältere frau erzählte mir, sie habe in ihrer kindheit auch nur noch die mauerreste des huthauses gesehen, aber im wald habe hier und da noch ein „holzmacherhäusel“ gestanden. — die poetische kraft der vorstellung: ein holzmacherhäuschen mitten im wald. — ich dachte daran, wie schnell diese schichten der erinnerung verloren sein werden. eigentlich müsste man mit einem großen fragenkatalog durch die gegend ziehen und erinnerungen aufzeichnen. qualitative sozialforschung on my own. selbstfinaziert. aber welche fragen, welches erkenntnisleitende interesse? genügt die „grenze“? — und am ende bekommt man einen blumenstrauß und einen lächerlichen preis, von der ortssparkasse oder einem energierunternehmen gestiftet.

wenn du ein glückliches leben führen willst, werde gärtner, heißt es in china.

vom baum der erkenntnis zum baum des kreuzes, lignum vitae. in jedem baum sei das kreuz angelegt und enthalten. deshalb seien bäume von zentraler bedeutung für europäisch-christliche gärten. – wir sind alle aus krummem holz geschnitzt. – was siehst du in deines bruders auge den span, erkennst aber nicht den balken in deinem eigenen auge?

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ich las einen artikel über den berliner schriftsteller gert pehling, der sich seinen unterhalt zum schreiben als gardarobier (sagt man so?) im berliner ensemble verdient. eine beängstigende zukunft entfaltete sich da – aber ist sie wirklich so beängstigend? lesendenkenschreiben, forschen ohne jemandem auf der tasche zu liegen, wie man so sagt, und sei es der allgemeinheit, wie man so sagt. selbst eine beschäftigung an der universität oder an einer außeruniversitären forschungseinrichtung erscheint mir wie eine ungerechtfertigte alimentierung meiner hobbies. denn ich bin kein leserdenkerforscherschreiber aus leidenschaft, ich bin und bleibe – dilletant.

(…) „schreiben ist lust“, sagt er. die tage, an denen er schreibt, sind gute tage, ja glückliche tage, alle andern tage sind grau. er würde sagen, sie sind verloren. (…) nichtschreiben hieße für ihn, den zauber des seins nicht auszuschöpfen und perlen am wegesrand liegenzulassen. (…)

(aus: melanie mühl, vom verschreiben, in: faz vom 18.10.08, s. 44)

mit gutem grund verbietet es sich, im modus der politischen theologie zu operieren. der begriff des politischen ist nicht das freund-feind-verhältnis. mit einem groben holzschnitt verschreckt man viele derjenigen, die sagen, ja aber. und zugleich macht man sich mit leuten gemein, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben will.

der informationsgehalt des satzes folgenden satzes geht gegen null: lange über meine deutung des christentums nachgedacht. – entweder man lässt ihn gleich weg und äußert seine gedanken oder man verzichtet ganz auf die bemerkung. die erwähnung des sachverhaltes verrät nichts über den sachverhalt selbst. allenfalls befriedigt man damit seine eitelkeit, weil dann viele tiefschürfendes denken und interesse unterstellen. die umkehrung des si tacuisses, sozusagen. entweder man bekennt sich oder man lässt es bleiben. – mir fehlt die zeit, die gedanken zu wiederholen und festzuhalten. überschrift könnte etwa lauten: demokratie, marktwirtschaft, christentum. – als sei ich ein frommer beter, ich – ha! die monogamie erscheint mir teils heuchelei (natürlich), teils schlichtweg unpraktisch in einer zeit, in der menschen achtzig, hundert jahre alt werden und dieses lange leben kaum mehr an einem einzigen ort auf der erde verbringen. der mensch soll nicht allein sein. was, notabene, nicht bedeutet, ich redete einer oberflächlichen beliebigkeit das wort. es treffen sich immer zwei subjekte, daran rüttle ich nicht, aber ich frage mich, ob sich nicht auch eine netzwerkartige beziehungsstruktur denken ließe. die allenthalben praktizierte serielle monogamie, nichts anderes als eine zeitversetzte polygamie, erscheint mir der größere frevel am andern. als könnte man aufhören einen menschen zu lieben. statt desillusionierung durch ständige versuche, die mehr zum scheitern verurteilt als zum gelingen angelegt sind, eine vertiefung und bereicherung durch parallelisierung. aber immer mit dem ganzen sein, ganzer seele und ganzen leib, immer mit aller kraft in die begegnung werfen und versuchen das bestmögliche daraus zu machen. eine singuläre zweierbeziehung bleibt nichtsdestoweniger möglich. – die eucharistie auf der anderen seite, jetzt wird’s blasphemisch, erscheint mir das relikt eines kannibalistisch-theophagischen rituals:

wenn die gemeinde oder der gläubige im mahl des gottes selbst teilhaft wird, können wir von einer kommunio im wahren sinn sprechen. ‚der mensch verleibt sich das göttliche wesen ein, um mit ihm eins zu werden. in primitiven und antiken kulten galten die opfertiere nicht nur als gabe an die gottheit, sondern selbst als göttlich und mit der kraft des gottes erfüllt.‘

(ǻke v. ström: abendmahl 1, in: tre 1, s. 44, berlin/new york 1977).

ich brauche mir nur die realpräsenz vorzustellen. außerdem die vermessenheit: mit der gottheit eins zu werden. — von wegen: konservativer …

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in einigem abstand rechts von mir saß eine junge frau, die auf irgendeine weise mein gefallen erweckte. (oder rede ich mir nur ein, sie habe das getan und erinnere mich nun so?) sie ging mit ihrer begleiterin vor dem ende und ich musste aufstehen, damit sie auf den gang treten konnten, der sie nach draußen führen würde. lächelte ich, lächelte sie? sie sagte, so hörte ich es: „-st schön aus“, das st hörte ich ganz genau. ich legte es als ein kompliment aus. aber sagte sie dergleichen wirklich? du siehst schön aus! – das sagt man niemandem, dem man zum ersten mal begegnet, auch wenn man es sagen sollte, falls man es so empfindet. solche kühnheit besitzt niemand. was hat sie gesagt? – ist ein derart starker erster eindruck denkbar, dass man zur kühnheit gezwungen ist und sagen muss: du siehst schön aus.

vor einem strahlend blauen himmel leuchtendes blätterwerk im botanischen garten.

zum ersten mal seit langer, langer zeit, macht mir spaß, was ich tue. nicht nur so obenhin. ich habe den eindruck, als bedeutete mein tun etwas, als habe es sinn. mein leben scheint mir auf dem richtigen weg zu sein, was ich lange zeit nicht so empfand. freilich kann ein leben durch die kontingenz der welt nie auf dem richtigen weg sein. aber man kann doch eine resonanz spüren zwischen dem, was man tut, und dem, was man meint, tun zu müssen.

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in einer liebesbeziehung wird ein zwischenmenschliches verhältnis realisiert, das die wechselseitige anerkennung der partner als subjekte am wenigsten unter bedingungen stellt. deshalb bietet sie die beste möglichkeit zur selbsterkenntnis und in der folge zum eingeständnis dessen vor sich selbst, was wiederum die günstigste grundlage zur veränderung ist. du kannst dein leben ändern, flüstert sie mir ins ohr – in dieser weise etwa.

ich erinnere mich an die hochgesteckten, rotbraunen haare der kommilitonin aus parchim. waren sie rotbraun? – hochgesteckte rotbraune haare wecken zumeist meine aufmerksamkeit. – in ein freundlich geäußertes wort deutet man sofort eine ganze zukunft hinein – ist das ein fehler, ein laster, ein strukturproblem?

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man kann keine gewalt über die vergangenheit bekommen, man kann ihrer nicht herr werden – deshalb ist es unangebracht, von vergangenheitsbewältigung zu sprechen. genausowenig kann man wohl vergangenheit aufarbeiten wie man etwa ein altes möbelstück etwa aufarbeitet. hier schwingt die bedeutung mit: wieder schön machen, ertragbar machen. gleichwohl scheint der zweite begriff weniger enggefasst, er bezeichnet einen prozess, der weniger stark auf abschluss zielt und offener ist. beides bezeichnet jedoch die entwicklung von diskursen und den wettstreit unter ihnen, an dessen ende eine meistererzählung steht, die für die beurteilung der vergangenheit maßgeblich ist und anhand derer das geschichtsbild entworfen wird. geschichte ist die geistige form, in welcher sich die gegenwart rechenschaft über sich selbst ablegt (huizinga).

wie ich die treppe im gebäude der geschäftsstelle 2009 hinunterlief, dachte ich fortlaufend: amethyst, amethyst, amethyst, immer im rhythmus meiner schritte. das bemerkte ich freilich erst nach einer ganzen weile, ich dachte einfach auf mich los, für mich hin, denken ohne zu denken gleichsam; ohne zu beobachten und zu überwachen, was ich da tat und dachte. – ob das auch jemandem passieren kann, der ein messer in händen hält und auf jemanden einsticht, der sein tun erst nach einer ganzen weile bemerkt. inwieweit sind wir herr unseres tuns, inwieweit verfügen wir über unseren willen?

der grad an verrücktheit wird bestimmt durch die entfernung von der normalverteilung. je mehr man sich die eigene verrücktheit eingesteht, sie bekennt und nicht länger der geltenden oder vielmehr wahrgenommenen norm unterwirft, desto näher ist man bei sich selbst. zu dem raschen wasser sprich: ich bin. – diesem bekenntnis steht nicht unbedingt ein höheres maß an selbstsucht und ein geringeres an verantwortung gegenüber. eher im gegenteil, möchte man meinen. mehr vertrautheit mit sich selbst bewirkt zuweilen auch ein stärkeres verantwortungsgefühl gegenüber den anderen. deshalb ist die formel mehr individualität gleich weniger gemeinschaftssinn und –fähigkeit zumindest unzureichend.

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