jahrestag der landung von kolumbus auf guanahani-san salvador – das fällt auch nur mir auf. pocken- und grippeepidemien, sklaverei und der traum von der neuen welt, dem durch keine ernüchterung auf dauer beizukommen ist. – vor jahren hätte ich voller fortschrittseuphorie den tag innehaltend im stillen gefeiert. heute vergesse ich beinahe das jubiläum. conquest of paradise, das verstehe ich erst jetzt, aber es ist trotzdem trivial.

während ich jüngst durch die stadt fuhr, dachte ich mir, sie muss doch irgendwo hier umherlaufen, die gefährtin und mutter meiner kinder, was, zugegebenermaßen, doch sehr nach schlager klingt, aber für den moment stimmig schien. — und dann wird einem vorgeworfen, die vorstellung von frau und kindern sei weltfremd, schlager eben, poesiealbum und world we have lost, we never got – als wüßte ich nicht selber um die kontingenz und die erotischen möglichkeite am wegesrand. trotzdem bleibt’s so: eine gefährtin für die lebensgefährdungen. ich lasse mir nicht einreden, es gäbe keine sterne; ich lasse mir nicht einreden, die serielle monogamie sei der normalfall. als könne man einen menschen eine zeit lang lieben und dann, zack, nicht mehr. diese vorstellung ist genauso geprägt und konstruiert wie das gegenteil. wenn überhaupt, dann gelingen nur die schüchternen versuche um die mitte herum (walser). als sei mir nicht klar, dass man kompromisse schließen muss – aber was spricht dagegen, vorstellungen zu entwickeln – der rest ist, wie immer, wie überall, verhandlungssache.

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weil man liest, schreibt man. ich glaube nicht, dass jemand zum schreiben kommt, ohne zu lesen, ohne dass das lesen sowieso schon zu seiner wichtigsten beschäftigung geworden ist (…). nun bist du, sagt man sich, so alt wie er [schiller] und hast „die räuber“ immer noch nicht zustande gebracht, man sieht sein leben immer nur im vergleich mit diesen geliebten größen, und es wird deswegen immer weniger eine frage, was man später tun wird, man hat keine andere chance, es sei denn, man würde sich verkrümmen. aber dann merkt man bald, dass man von dem geschriebenen nicht leben kann, und überlegt, wie man es finanzieren könnte. wenn man von zu hause auch kein geld hat, da muss man halt etwas arbeiten, was das schreiben ermöglicht (…). man bleibt dann in der unsicherheit, ob es je reichen wird (…). (martin walser, zit. nach: leben ohne utopie. gespräch mit martin walser, in: armin roscher, lebensmuster. zehn gespräche, berlin 1995, s. 32, hervorhebung vom autor.)

was will, was soll man dem noch anfügen?

das wechselgespräch mit sich selber beim wandern. man läuft als sächsischer herodot durchs erzgebirge, man schaut, staunt, sammelt; man fragt sich: wie er wohl aussah, als er durch kleinasien, ägypten, … wanderte. weißer umhang, aber das ist wohl nur ein signum der eigenen vorstellungskraft.

unterwegs fand ich beim fotografieren im rasen ein altes tschechoslowakisches grenzschild, das schon zur hälfte weggerostet war. es ist nur noch statní hranice zu lesen, pozor kann man sich nur noch denken. ich nahm das schild mit nach hause und fühlte mich dabei sehr wohl: ich sammle zeugnisse der vergangenheit.

beim weiteren fotografieren fragte mich eine frau, ob ich etwa an den immobilien interessiert sei. ich verneinte, entwickelte aber ein gespräch mit ihr über den baldigen abriss der häuser, in denen sich schon der schwamm ausgebreitet habe und drohe auf ihr eigenes haus überzuspringen. ihr mann und ihre söhne mauerten gerade einen schornstein aus dem dach. dies zu fotografieren, war sie überhaupt vor die tür getreten und auf mich gestoßen. zwei fotografen. sie hätten den schornstein in den neunziger jahren zurückgebaut, aber bei den energiekosten heutzutage bleibe einem nicht viel anderes übrig, als wieder auf holzheizung umzustellen. – als ich mich verabschiedet hatte und weiterlief, war ich guter dinge: doch so eine art journalist, immer interesse, immer neugier.

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die josefsromane von thomas mann eignen sich für vielerlei („welches buch würden sie auf eine einsame insel mitnehmen?“), aber nicht als basis für kulturpessimusmus und christliche orthodoxie. (durch einen tippfehler schrieb ich eben: christiliche – aber so schlimm scheint er nicht zu sein …). tief ist der brunnen der vergangenheit. sollte man ihn nicht unergründlich nennen … – was für ein beginn.

cdu-generalsekretär ronald pofalla hat mehr respekt für die lebensleistung der menschen in den neuen bundesländern verlangt. „ich sage es ausdrücklich, das gilt sowohl für die zeit vor als auch nach der wende“, sagte pofalla am freitag in dresden bei der eröffnung des perspektivkongresses seiner partei für die neuen bundesländer. der kongress steht unter dem motto: „geteilt.vereint.gemeinsam.“ ziel der cdu sei es, dass sich die neuen länder in den nächsten jahren zu einer der dynamischsten regionen in mitteleuropa entwicklen können. (dpa-meldung.)

da hüpft das mitteldeutsche doppelherz, eins schlägt für leipzig, eins fürs erzgebirge; der mitteleuropäer mit leib und seele richtet sich auf und sortiert seine kleidung. immerhin, denkt er sich und repetiert: zu einer der dynamischsten regionen in mitteleuropa. aber ostdeutschland gilt als zünglein an der wage für die nächste wahl. also vorsicht, vorsicht oder: … allein, mir fehlt der glaube.

in der faz schreibt niels minkmar zur finanzmarktkrise: „dies ist die stunde der literatur: unsere wichtigsten papiere sind heute die bücher.“ und vom geschichtenerzählen schreibt er, immer müsse eine geschichte erzählt werden. – uwe timm im interview in der süddeutschen bestätigt die these des interviewers, wenn die realität zur katastrophe werde [oder die katastrophe zur realtität, man weiß es nicht …], wollten die menschen besonders gerne geschichten erzählt bekommen. — wohlan, könnte man meinen.

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in der nikolaikirche hielt frank-walther steinmeier die „rede zur demokratie“; sicherheitspersonal, presseleute, gaffer – und ich schob mein rad durch die menge. am seiteneingang war friedrich schorlemmer in ein gespräch vertieft, vermutlich frieden, freiheit, freude schöner götterfunke … — mich widert dieses demokratie-spielen an: einer hält eine rede und andere fühlen sich verpflichtet, sie anzuhören. reden lauschen ist aber kein bürgerschaftlicher akt, applaudieren macht noch niemandem zum citoyen.

man kann nicht haftbar gemacht werden für seine assoziationen, der wille steuert nicht das feuern der neuronen, allenfalls mag man aus den assoziationen rückschlüsse ziehen auf den charakter des menschen, aber auch das bleibt fraglich, denn man spricht und handelt nicht nach dem muster seiner assoziationen. trotzdem zensiert man seine gedanken, weil man ja ein guter mensch sein möchte und ein guter mensch, so bekommt man’s beigebracht, hat keine schlimmen, bösen, obszönen usw. gedanken. die sonate vom guten menschen … – mir kam ein junger mann auf der treppe entgegen und ich dachte: wie ein gorilla; fehlte nur noch, dass er sich auf die brust trommelte und dazu brüllte: ich tarzan, … aber unverzüglich schaltete sich der verinnerlichte zensor ein und wies mich zurecht, das dürfe ich nicht denken – und schon gar nicht notieren. die gedankenpolizei im kopf, erziehen und strafen im öffentlichen diskurs, schlimmer noch: im kopf. ob das hilfreich ist?

ich beobachtete dieser tage einige junge frauen, die vermutlich gerade immatrikuliert worden sind und noch etwas unorientiert und allenthalben verloren herumlaufen. mich berührt ihre einsamkeit, vielleicht projiziere ich auch nur meine eigenen empfindungen auf attraktive frauen und unterstelle ihnen einsamkeit, die sie gar nicht haben. mir kommt jedenfalls der gedanke, ich könnte ihre einsamkeit ausnutzen, um meine eigene zu dämpfen und zu bekämpfen. aber erstens wäre das unauffrichtig, selbstsüchtig, eigennützig, gemein, … und zweitens hülfe es nicht. nichts hilft, ein rest einsamkeit bleibt immer, die letzte distanz kann nicht überwunden werden, die annäherung eines menschen an einen andern ist bestenfalls wie der verlauf eines graphen, der gegen eine bestimmte zahl strebt, bestenfalls.

w. wirft der jugend, den studenten, der gesellschaft einen werteverfall vor, redet kulturpessimistisch dem untergang das wort („die epistel steht bei oswald spengler im dritten kapitel …“). – auf dem weg durch die stadt konnte ich nur denken: werteverfall, werteverfall, werteverfall – in einem fort. als ob das die erklärung wäre. freilich: darin kann man sich’s wohlig einrichten. aber man hilft keinem einzigen menschen und auch nicht der gesellschaft (was immer das sein mag, gemeinschaft der menschen … i don’t know, i just wonder). lasst uns niedersitzen zu trauermären von der könige tod, wie? — nach meinem dafürhalten hat kirche eine ganz andere aufgabe. sie muss auf den einzelnen zugehen und – achtung: phrase! – ihn dort abholen, wo er ist; ihm egoismus, mangelnde werte, … vorzuwerfen und ihn gleichsam in sturm und regen, in furcht und hoffnung draußen vor der tür stehen zu lassen, ist mit der bergpredigt nicht recht zu vereinbaren. die menschen beschimpfen und ihnen vorwerfen, sie träten nicht näher. die dynamik des christentums entsprang dem einsatz für die armen und geschundenen, es war in der antike eine sklavenreligion, gegen die sich irgendwann auch der mächtige römische staat nicht mehr stellen konnte. dem rad in die speichen greifen, sagt bonhoeffer. wo sich kirche nicht der sorgen und nöte der menschen annimmt, sondern in selbstmitleid verfällt, auch wenn sie es als kämpferisches bekenntnis ausgibt, ist sie keine kirche mehr. aber mit der unmittelbaren bezugnahme auf die schrift statt auf die tradition und der damit verbundenen instiutionskritik ist dem christentum eine permanente selbstkontroll- und erneuerungsfunktion eingeschrieben, so dass man um die frohe botschaft nicht in sorge sein muss – trotz des werteverfalls, werteverfalls, werteverfalls … das omega, das für das ende steht, klingt mit einem a(lpha) aus, es ist nie zu spät für das apfelbäumchen.

wo kirche sich alleinseligmachend darstellt, ist sie überheblich, wo sie überheblich ist, sieht sie nicht den menschen in seinem kummer und schmerz, wo sie den menschen nicht sieht, ist sie keine kirche. punktum.

die kunst liegt nicht darin, ein-zwei mal bis drei uhr nachts zu arbeiten. die kunst liegt darin, kontinuierlich zehn, zwölf, vierzehn, sechszehn stunden zu arbeiten (freilich: der student verhält sich zum arbeiten wie der blinde zur farbe … ), sich auf das tagesgeschäft zu konzentrieren und ergebnisse zu produzieren, soll heißen lesen, denken und (!) schreiben. wenn einem doch nur sätze gelängen, die sich ergänzen und die es lohnen, auch ein zweites und drittes mal gelesen zu werden. statt dessen müht man sich und es kommt doch nur geschwätz heraus, phrasen und trash. das ist das problem. das glück wäre, jeden tag den stapel etwas zu vergrößern und von zeit zu zeit einen stapel abzuschließen. aber nein, man springt hierhin und dahin, scheint beschäftigt, lenkt sich aber in wahrheit nur ab, lenkt sich ab von harten einsichten. – das kleine glück sind solche notate, die zwar auch nur phrasentrashgeschwätz sind, aber die erst einmal stehen. am schlimmsten sind die tage, an denen man von einem ort zum andern hetzt, aber nichts vorweisen kann am abend. — lenz: nur die arbeit zählte, ohne sie war er nichtswürdig, ein herumtreiber.

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manchmal möchte man einfach die stirn auf die tischplatte vor einem fallen lassen. einfach aufschlagen. – man gehe in ein restaurant, setze sich an einen tisch und warte eine viertelstunde. dann lasse man unvermittelt seine stirn scheppernd auf den tisch fallen. in dieser position verharre man weitere zwei-drei minuten, stehe anschließend auf, richte seine kleidung und verlasse das lokal wieder.

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diese notizen werden, scheint mir, auch immer einfältiger und belangloser. es fragt sich, ob eine steigerung der quantität tatsächlich einen umschlag in der qualität bewirken kann.

der uni-riese ragt aus dem schillerpark und gehört nicht in die stadt, ein monolithischer fremdkörper. 2001 – a space odyssey. – ob man ihn bald niederreißt?

vor dem institutsgebäude eine tote taube, aus deren körper noch blut floß, dick und zähflüssig. sie war wohl im dunkeln gegen eine glaswand geflogen. – nur keine sinnbilder suchen, die bedeutungen liegen längst in dir und auf diese weise erscheint dir die welt bloß als bestätigung deiner empfindungen, das trifft für den überschwang zu wie für die niedergeschlagenheit. nur keine sinnbilder.

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ein wagen überholte mich, das kind auf dem rücksitz drehte sich dabei um und sah mich teils entsetzt, teils verblüfft an. vermutlich hatte der vater am steuer etwas in der art von „idiot!“ gesagt. – wie viele urteile solcher art übernimmst du, ohne weiter darüber nachzudenken, und siehst dich dabei erstaunt und entsetzt nach dem derart beurteilten um? und noch wichtiger: wer sitzt eigentlich am steuer?

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am kopierer traf ich eine theologin, die eine unterrichtsstunde für ihr referendariat vorbereiten wollte, und kam mit ihr ins gespräch. aber statt nun einen faden zu entwickleln, der über die konkrete situation hinausführt, schwadronierte ich munter los: paulinerkirche! pfarrer w. ist schuld, dass ich keine theologische gesprächspartnerin fand. das ist, nebenbei bemerkt, doch der entscheidende punkt in der ganzen absonderlichen paulinerkirchendebatte: abschreckung statt mission. – dabei hätten sich anknüpfungspunkte geboten: ich sagte so obenhin, mir werde gelegentlich vorgeworfen, nur ein kulturchrist zu sein – und sie fragte, ob das zuträfe. nun suche ich schon seit jahr und tag nach einem theologen, einer theologin noch lieber, freilich ohne gleich hinter- und reptilienhirngedanken zu haben, mit dem, mit der ich ansichten und überlegungen austauschen kann. für häresien wird man heute nicht mehr verbrannt, ja nicht einmal mehr verbannt; und sich seine eigenen gedanken zur bibellektüre machen ist doch wohl erste christenpflicht. – was die von mir nun denken mag?

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frau horst s., wie man wohl sagt, meine nachbarin in der tiefe, begegnete mir am vormittag im treppenhaus. gruß und gegengruß. sie war schon lang vorüber, mir war gerade der schlüssel auf den boden gefallen (warum fällt mir immer der schlüssel zu boden?), da wendete sie sich und sagte mir, ich sähe aus wie der nachrichtensprecher (aha, der …). wo er noch gleich zu sehen wäre, war es beim mdr? (gott behüte!) ich sei das aber nicht, oder? nein? ich müsste mal darauf achten. ich versprach’s und verschwand. – das alles gibt es also. man könnte sich allein in eine ecke der welt setzen, dort ein wenig herumschlendern und notieren, was einem begegnet und widerfährt. mit diesem staunen könnte ich den ganzen tag zubringen. aber wem nützte’s? ja, wenn man beim fernsehen arbeitete. aber dort muss man das staunen vermutlich an der pforte abgeben. (hui, so hat mir frau horst s. auch noch eine gelegenheit zur medienkritik gegeben. – da staunste, was?)

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manchmal laufe ich durch die stadt und denke plötzlich: ernst jünger! nicht dass ich ihn sähe oder zu erkennen glaubte, ich denke ganz einfach: ernst jünger!, straffe mein rückgrat und versuche aufrechter zu gehen, ich atme tiefer und habe für minuten vertrauen zu mir. was kostet die welt! ich mache ein entschlossenes gesicht, mir fällt meine übersetzung des orgelemblems vom gewandhaus ein – res severa verum gaudium – und ein gefühl der unantastbarkeit durchströmt mich. ich erinnere mich daran, wie e.j. tags durch berlin strich und bücher kaufte (kirchenväter und okkultisten der frühen neuzeit), um dann nachts als autor an seinen werken zu arbeiten. – spätestens wenn ich am andern morgen den wecker stundenlang klingeln lasse, ist alles vorüber.

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