hinter dem gwz lief an mir g. w. vorbei, wir sahen uns kurz an, einen moment länger als man sich im vorübergehen normalerweise ansieht, liefen aber ohne ein wort zu sagen in entgegengesetzten richtungen weiter. was sollte sie auch sagen: sie weiß ja nichts von meiner begeisterung für sie – oder vielleicht eher für meine idee von ihr. und was sollte ich sagen: bist du nicht g.w.? ich bin seit jahren von dir fasziniert und möchte dich gern kennenlernen… so ein satz hätte in ihren ohren – völlig zurecht – bizarr gewirkt und der satzsprecher gleich dazu. ich kann nicht ganz und gar von mir weisen, dass es mir nicht auch um die anbahnung einer intimen beziehung gehen würde, zumindest die möglichkeit dieser entwicklung macht die ganze angelegenheit schillernder. aber zunächst und vor allem geht es mir um eine nähere bekanntschaft: ich möchte sie kennen, ihr wesen, ihre sicht der welt, ihre vorstellungen von der zukunft, … – und sie soll mich kennen, mein wesen, meine sicht der welt, meine vorstellungen von der zukunft. dieser status relationis genügte mir, wenn sich anderes, weitergehendes nicht ergeben sollte. es geht mir um ihre anerkennung. ich fühle mich ihr und frauen wie ihr gegenüber wie ein unscheinbares, kaum bekanntes, noch nicht allzu lang unabhängiges land irgendwo in ostmitteleuropa, das fasziniert ist von frankreich, holland, england und unbedingt von ihnen anerkannt werden möchte. sie und frauen wie sie verkörpern für mich, was man gegenwärtig unter der chiffre „westen“ oder „europäische zivilisation“ zusammenfasst: die trinität aus freiheit, verantwortung und souveränität, wobei jedes element durch die beiden anderen noch verstärkt und gefestigt wird, nüchterne sympathie gegenüber jedermann statt argwöhnischem misstrauen, das geltenlassen des anderen in seinem so-sein, in seinem eigensinn und seiner eigenart, gegenseitige rüchsichtnahme, das zurücknehmen von sich selbst zur konfliktvermeidung, das möglich wird durch jene identitätsstiftenden und identitätsstabilisierende trinität aus freiheit, verantwortung und souveränität und auf scheinbar paradoxe weise durch die gesellige1 zurücknahme dieses selbst noch stärkt – vielleicht eher eine chiffre für mein gegenwärtiges verständnis und meinen entwurf von zivilisation schlechthin. aber wie sollte ich das alles jemandem, der mich nicht kennt, im vorübergehen glaubhaft vermitteln? so geht es mir ständig.2

1 ich suche nach einem wort, dass die schöpfung des menschen auf eine gemeinschaft hin beschreibt, in der sich seine eigenart und sein eigensinn erst entfalten können; mir scheint das wort geselligkeit geeignet, aber das adjektiv wird für gewöhnlich anders gelesen: die gesellige runde …
wichtig ist dabei die unterscheidung zwischen geselligkeit und gefälligkeit, die zwar beide eine gewisse umgänglichkeit im miteinander beschreiben, letztere aber von einer eigennützigen überlegung motiviert ist, während im ersten fall so etwas wie selbstlosigkeit der treibende impuls ist und die eigennützigkeit eine begleiterscheinung ist.

2 bei der gelegenheit solcher begegnungen kommt mir immer in den sinn, dass ich viel mehr menschen kennen und aus dem umgang mit ihnen bestätigung erfahren könnte, wenn ich meine heimliche begeisterung offenbaren würde – aber in der regel weiß ich nicht, wie ich beginnen soll. es ist eine scheu, andere zu belästigen.vielleicht steckt dahinter auch vielmehr die furcht vor der zurückweisung, die ich mir nur nicht eingestehen will. es geht mir mit den menschen wie mit den texten – oder eigentlich geht es bei der etablierung einer bekanntschaft mit einem menschen zuletzt auch um einen text: mir fällt so gut wie nie ein erster satz ein, ein erster satz, der weder zu bescheiden ist, dass er unbeachtet bleibt, noch zu donnernd, dass er unglaubwürdig wird, ein erster satz, aus dem sich wie am schnürchen andere sätze ergeben und meine wüsten gedanken in eine nachvollziehbare struktur gelangen, ein erster satz, der lust macht weiterzulesen – oder eben weiter zuzuhören. ich fürchte, dieses dilemma hat wie so vieles seinen ursprung in einer minderwertigkeitsempfindung, denn es ließe sich auch eine gegenteilige strategie statt der belästigungsvermeidung verfolgen, die allerdings auf der annahme gründet, zur äußerung existentiell berechtigt zu sein, eine strategie nämlich, die die mitteilung von interesse und zuneigung als freundliche geste betrachtet. jedoch besteht der zwang zur sorgfalt bei der äußerung – aus der wertschätzung des jeweils anderen heraus. denn sonst läuft man gefahr, zum ichbezogenen schwätzer zu werden, dem man mit gutem grund die frage stellen kann: und wo ist der bus mit den leuten, die das interessiert? ich finde keinen ausweg aus dem dilemma.

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