im foyer des instituts kommt mir aus dem dunklen dezembernachmittag der zeithistoriker h. entgegen. ich grüße: guten abend. es ist kurz nach vier uhr. er hält mich vermutlich für völlig verwirrt oder dumm. es ist mir zuweilen sehr peinlich, ihm zu begegnen. mir scheint es, als habe ich ihn enttäuscht und verraten – was hart und pathetisch klingt. eine ausgestreckte hand ausschlagen. wie man einen ureinwohner beleidigt, weil man einen bestimmten gabe-ritus fehldeutet und aus falscher bescheidenheit, die nicht geheuchelt, aber fehl am platze ist, sein geschenk ablehnt. warum habe ich mich nur mit solcher engstirnigkeit auf die frühe neuzeit kapriziert? nicht dass die vormoderne uninteressant sei, aber bei h. hatte ich eine gelegenheit, mich in die gegenwartsnahe vergangenheit einzuarbeiten – und schlug sie aus. jetzt merke ich, wie sehr mich die fragen der jüngeren und jüngsten vergangenheit umtreiben. gewiss: ich spule mein lot ein halbes jahrtausend bis zum zweiten erzgebirgischen berggeschrei, der gründung schnee-, anna- und marienbergs, bis zu luther, adam ries, georg von carlowitz und herzog moritz ab. aber das zwanzigste jahrhundert brennt mir genauso auf den fingern wie mir die letzten fünfhundert jahre in dieser weltprovinz zwischen elbe, mulde und saale den atem verschlagen. eine straße, ein weg, gesäumt von kürzlich beschnittenen weiden, novemberkahl die felder, die sich in sanften hebungen und senkungen erstrecken, der frost hat die farbe aus den dingen gezogen, die landschaft schläft gelassen, novemberkahl der himmel, blass scheint die sonne dicht überm horizont durch die wolken. ein reiter jagt über den weg, ein paar raben krächzen, sonst rührt sich nichts? 1517, 1548, 1595, 1630, 1733 … wann spielt’s? ein netz von bezügen hängt an dem reiter, ohne dass er es sich bewusst wäre …

ein pärchen verlässt das gebäude, als ich es betreten möchte. er hat seinen arm um ihre schulter gelegt und sie ist, scheint mir, reduziert auf ein lächeln, sie ist daseinsfreude ungetrübt durch zweifel. sie kennen sich gewiss nicht lange, alles andere sollte mich überraschen – aber ich lasse mich gerne überraschen, denn das alles gibt es. also … – eine junge frau rennt auf einen jungen mann zu, so dass man einen heftigen zusammenprall erwartet. aber sie berühren sich allein mit den lippen, sie freut sich, strahl und schließt die augen, einen hauch zeit bevor sie ihn küsst. – ein hauch zeit … so ein unsinn. säuselseuselsoisel.

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