in der ostthüringischen zeitung vom 19. januar wird von einem wettbewerb zur – regionalen und lokalen – erforschung und aufarbeitung der revolution von 1989 berichtet. darin äußert der jenenser historiker falk burkhardt, der begriff „wende“ werde in der forschung durchgängig abgelehnt, weil dieser ausdruck eine wortschöpfung von egon krenz sei und lediglich geltung für die neuorientierung innerhalb der sed-nomenklatura habe. es ist aber wie mit allen worten, sie fächern ein netz von bedeutungen und assoziationen auf, die mehr vermitteln als die bloße bedeutung ihrer selbst. beispielsweise zieht „ideologie“ für mich unweigerlich „dogma“, „engstirnigkeit“, „gewalt“, „umerziehung“, „lager“ nach sich, weshalb ich dieses wort nicht in einem neutralen sinne verwenden kann, erst recht nicht in einem positiven, auch wenn meyers lexikon diese bedeutung ausdrücklich nennt. „stura ist ideologie“, heißt es. da ließe sich auch leicht formulieren: stur(a) ist ideologie – ist ideolgie stur(a)? — wer lieber von „revolution“ statt von „wende“ spricht, realisiert damit auch einen bestimmten entwurf der meistererzählung von der ddr und ihrem untergang, vom ostblock und seinem zerbrechen: eine bürgerliche freiheitsbewegung, die an die ereignisse und ideale von 1789 anknüpft. wenn in einer zdf-geschichtsdokumentation von der trauer um robert blum, den hingerichteten helden der 1848er revolution, zur leipziger nikolaikirche in einem meer von kerzen umgeblendet wird, geht das in die gleiche richtung. die einbindung der 1989er ereignisse in die tradition der europäischen emanzipation, die spannung eines bogens über die düsteren kapitel der deutschen geschichte im 20. jahrhundert hinweg, die insofern als verirrungen und sonderwege gedeutet werden – darin liegt schon ein gerüttelt maß an geschichtspolitik, die etwa auch im berliner humboldt-forum gestalt gewinnt, in welchem die berliner republik an das weltoffene, bildungshungrige preußen des frühen 19. jahrhunderts anzuknüpfen versucht. humboldt & co. oder: was der staat an physischen kräften verliert, muss er an geistigen gewinnen … das spannende an dieser entwicklung besteht darin, hier hautnah beobachten zu können, wie verschiedene entwürfe der großen erzählung miteinander konkurrieren, die das komplexe geschehen um die ddr und ihren untergang, um die deutsche teilung und ihre überwindung auf einen erzählstrang reduzieren. huizinga ist immer mit dabei, steht hinter mir und flüstert in mein ohr: geschichte ist die geistige form, in der sich eine bestimmte gegenwart rechenschaft gibt über ihre vergangenheit. ich möge mich nicht aufregen über etwaige verbiegungen und offenkundige konstruktionen. aber einmischen darf ich mich schon. nur besteht keine garantie, auch gehört und gar verstanden zu werden. – war das tatsächlich eine revolution, die 1989 auf den straßen leipzigs stattfand? was heißt überhaupt „revolution“? benennung schließt immer auch deutung ein. nach meinem eindruck verwenden die meisten ostdeutschen die bezeichnung „wende“; „(friedliche) revolution“ ist dagegen, meines erachtens, ein politisch ge- und besetzter begriff, ein nachträglich geschöpftes wort, in welches schon eine bestimmte deutung der ereignisse eingeschrieben ist – ungleich stärker, weil ungleich absichtsvoller  eingeschrieben als in „wende“, das sich ganz erheblich von seiner ursprünglich beabsichtigen bedeutung gelöst hat, über das die leuten auf der straße, beim demonstrieren, sozusagen gestolpert sind, es ein wenig hierhin- und dorthindrehten, prüften und für tauglich befanden. an der „(friedlichen) revolution“ ist nach meinem dafürhalten der reflektierte, intellektuelle ursprung problematisch. „wende“ erzeugt ebenso einen bestimmten blick auf die ereignisse, aber da der begriff schon von anfang an viel stärker, meine ich, in den volksmund, also den diskurs vor ort an den kaffee- bzw. biertischen daheim, eingegangen ist, hat er sich doch erheblich von der bedeutung gelöst, die krenz und konsorten ihm zugedacht hatten. – ich bin mit dem wort von der „wende“ aufgewachsen, das ist der eine grund, warum ich es der „friedlichen revolution“ vorziehe. der andere liegt in dem beschriebenen traditionszusammenhang, der mit der offiziell-offiziösen formulierung hergestellt wird und der mir keineswegs eine ausgemachte sache zu sein scheint, weil er wenigstens so viel unter dem teppich verschwinden lässt wie er erhellt. schließlich sehe ich auch nicht unbedingt einen widerspruch zwischen beiden bezeichnungen in der art, dass der eine den anderen ausschließt. wenn man „wende“ als „kehre“ versteht, sozusagen als „abkehr“ vom misslungenen, aufgezwungenen weg, als „umkehr“ und einschwenken auf den anderen, offensichtlich besseren weg, als „umwälzung“ der bestehenden verhältnisse, des gesamten sozialen und ökonomischen rahmens, an dem man bis dahin sein leben ausgerichtet hat, dann ist „wende“ treffender. darüber hinaus von der „wende“ statt von der „friedlichen revolution“ zu sprechen, halte ich sogar für ein wenig subversiv, denn diese bezeichnung enthält auch ein gutes stück ironie – bezogen auf die alten machthaber, aber eben nicht nur auf diese … (vgl. oliver will: gestürtzt, nicht gewendet. historische kommission lobt wettbewerb zur erforschung der revolution von 1989 aus, in: ostthüringische zeitung vom 19.01.09.)

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