das gibt es nicht, das leben, das man noch einmal beginnt.

das paradoxe an der revolution von 1989, die man wohl trotz aller guten und schlechten gründe als wende bezeichnen muss (vox populi), besteht darin, dass sie mit den grundstürzenden veränderungen im osten deutschlands überkommene strukturen im westen bewahrte – und damit für das ganze land. ohne einheitstaumel wäre die regierung kohl abgewählt worden, wenn es nicht einen putsch in den eigenen reihen gegeben hätte. wenn man länger darüber nachdenkt, wird man von den möglichkeiten, die in der wirklichkeit schlummern, ganz in den bann geschlagen.

die kennzeichen der lutherischen spiritualität sind nüchternheit und langer atem, heißt es.

national-hymnen: man kann natürlich nicht die brecht-eisler-hymne singen und die kinderhymne ist, obgleich nicht in diesem maße, auch von der zweiten deutschen diktatur geprägt. die haydn-fallersleben-hymne ist andererseits wieder verunglimpft, vielleicht noch übler, durch den nationalsozialismus und den anschluss des horst-wessel-liedes, das einzige, was für sie spricht, ist die demokratische tradition, die sie auch birgt. insofern, da ist antje vollmer wohl zuzustimmen, bringt sie am besten die gebrochene tradition dieses landes aus dem vormärz durch die diktaturen des 20. jahrhunderts in diese ungeliebte, ungewollte, provisorische republik, die paradoxerweise am beständigsten zu sein scheint. wenn man den fallersleben-text auf die eisler-melodie gesungen hört, geht einem im ersten augenblick das herz auf, aber bald bleibt einem die freude im halse stecken, denn unter der feierlichkeit verbirgt sich eine gewalt, wie sie der moderne wesentlich ist. alte not gilt es zu zwingen / und wir zwingen sie vereint / denn es muss uns doch gelingen / … – selbst dieser schiller-text mit der verschlankten beethoven-melodie ist befleckt, etwas arg pathetisch klingt er außerdem. ich kann der meinung immer stärker zustimmen, beethoven hätte besser daran getan, auf den schlusschor zu verzichten. zuletzt bleibt nur die so genannte reformations-hymne, das lutherische lied von der festen burg übrig, sowohl text als auch als melodie kommen in keiner weise gewalttätig daher, ganz ohne zweifel tapfer und unerschrocken, aber nicht gewalttätig. damit kann man niemanden aufstacheln, damit kann man nur jemanden ermutigen, durchzuhalten und nicht zu resignieren. das ist das lied für die schnecke, für den sisyphos: und wenn die welt voll teufel wär / und wollt uns gar verschlingen / so fürchten wir uns nicht so sehr [wie wir sollten und wollten] / es soll uns doch gelingen. im „sollen“ steckt das vertrauen auf ein gutes ende, wie es der engel in bethlehem verkündet und wie es paulus an timotheus schreibt; im „doch“ steckt der trotz, der wahrscheinlichkeits-trotz, wie er in dem zweifelnden, furchtsamen augustinereremiten vor kaiser und reich zu ahnen ist, wie er in der osternacht gestalt gewinnt, wie es der evangelist lukas im achtzehnten kapitel schreibt: was bei den menschen unmöglich ist, das ist bei gott möglich. wo immer man ihn verorten mag – überm sternenzelt oder unterm schädeldach.

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