„ich glaube, dass kultur immer schon etwas vermischtes gewesen ist“, sagt ein migrationsforscher im radio.1 – kultur ist immer vermischt, gewachsen, stückwerk. es gibt keine kultur aus einem guss. dass man den eindruck hat, es sei dennoch so, vor allem im fall der eigenen, liegt daran, dass man sie als ein überwältigendes phänomen vorfindet oder vielmehr im laufe seiner eigenen bewusst-werdung in sie hineinwächst. wo man auch hinsieht, selbst in den feinsten, kleinsten winkel hin hat sie sich ausgedehnt und jedes detail scheint sowohl mit dem ganzen als auch mit jedem andern verbunden zu sein. so schwer wie die evolution der unbelebten und belebten natur zu begreifen ist, so schwer, vielleicht sogar noch schwerer, verhält es sich bei der kultur, der sozusagen zweiten natur des menschen, die zwar nicht natürlich ist, aber überindividuell, ähnlich stark beeinflussend und ähnlich schwer beeinflussbar. soziologie ist zumeist viel zu gegenwartsfixiert, geschichtswissenschaft blendet vor lauter objektivierungswahn die gegenwart und damit den standort des geschichtsschreibers zumeist ganz und gar aus. mein ideal bleibt die verknüpfung von beidem in der tiefen beschreibung – um zu ergründen, wer ich bin, muss ich wissen, was mich umgibt und beeinflusst, prägt, formt, um zu wissen, was mich umgibt, muss ich ergründen, wie es geworden ist. ein bild für diese tiefe beschreibung wäre der wurzelstock einer fichte: zum einen der querschnitt, an dem man einen bestimmten zustand dieses baumes ablesen kann (das soziologische bzw. ethnologische moment); zum andern die weit- und vielverzweigten wurzeln (die historische tiefendimension). sozusagen: das poetische prinzip einer fichte. wenn man es schon mit einer schriftkultur zu tun hat und gewissermaßen sonden in die vergangenheit schicken kann, sollte man es auch tun; das bild kann nur differenzierter werden, was heißen soll: weniger grob. – von johann gottfried herder, den manche als stammvater der ethnologie betrachten, gibt es für die beschreibung von kultur(en) das bild der schwankenden oder beweglichen horizonte aus dem schwankenden oder beweglichen blickwinkel eines schiffes auf dem meer. damit hat er vor allem die perspektivität des beschreibenden im sinn, aber es macht auch sensibel für die stete unstetigkeit von kultur. nicht nur der blickwinkel, auch der zeitpunkt der beobachtung beeinflusst die beschreibung. – aber das sind allesamt nur binsenweisheiten, eine krude collagierung von angelesenem und aufgeschnapptem. nur: was kann man mehr?

1„odyssee europa“ – mark terkessidis über homer und irrfahrten heute, dlf vom 28.02.10, 17.06-17.30 uhr; vgl. http://www.dradio.de/aodflash/player.php?station=1&broadcast=277851&playtime=1267373208&fileid=567f3a70&/ (28.02.10).

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