ilse aigner, meine lieblingslandwirtschaftsministerin, bemerkte zu der absicht etlicher parlamentsangehöriger, die papstrede nicht im plenum zu verfolgen, die offene ablehnung gegenüber dem oberhaupt einer der großen weltreligionen zeige die wahre intoleranz und heuchelei. jan korte von der linkspartei, einer jener parlamentarier, erwiderte, frau aigner sollte wissen, dass es in deutschland religionsfreiheit gebe, was bedeute, niemand dürfe gezwungen werden, sich diese rede im bundestag anzuhören. – vielleicht ist es für das geistige und politische klima im lande nicht das schlechteste, wenn man nicht allzu große und starke worte verwendet. zwar erreicht man damit eine größere öffentlichkeitswirksamkeit, aber gerade parlaments-rednerinnen und -redner sollten sich über die macht der worte bewusst sein und sie deshalb nur um so sorgsamer wählen. wohin der schludrige umgang und die bedenkenlose rhetorische aufrüstung führt, sieht man etwa bei den trollen von der tea party. in bayern gibt es ohne zweifel noch jede menge heuchelei und genügend entwicklungsmöglichkeiten bei der toleranz von abweichenden meinungen und verhaltensweisen im konfessionellen, religiösen, lebensweltlichen. ilse aigners freunde in münchen halten ja bekanntlich schon den kindergarten für den anfang vom sozialismus – und haben doch keine ahnung von den bedrückungen des real existierenden sozialismus. andererseits sollte jeder in der linkspartei mit ihrer kirchenfeindlichen einheitspartei-tradition das wort religionsfreiheit demütig und nicht moralkeulenschwingend verwenden. die einen tun so, als bräche morgen die kommunistische weltrevolution aus, wenn dem ratzinger joseph nicht zugehört wird (und denken dabei weder an den weltkriegspapst pius oder die collaboration joyeuse im franquistischen spanien) – und die anderen tun wiederum so, als würde durch den ratzinger-auftritt der katholische gottesstaat ausgerufen (vergessen aber, wie diejenigen, in deren tradition sie stehen, mit geradezu gottesstaatlichem furor jede abweichende meinung verfolgt und bestraft haben). bei aller kritik im einzelnen, etwa an der verstrickung vieler protestanten und insbesondere vieler pfarrer in den nationalsozialismus, muss am doch zugleich anerkennen, dass sich viele gemeinden in der anderen deutschen diktatur – und ebenso in der bundesrepublik – zu kleinen inseln des pluralismus entwickelten, die sich, teils schneller, teils langsamer ausbreiteten.1

vielleicht beschreibt mich gegenwärtig die bezeichnung: freischaffender protestant vor dem hintergrund materialistischer mystik. was ist beten anderes als das suchen nach einer mitte, was ist glauben anderes als eine zuversicht, die an der bitteren konsequenz aus den erfahrungen zweifelt, was ist die liebe anderes als die entfaltung des eigenen durch das absehen vom eigenen?

1vgl. eva prase, schwanitz: bundestag wird zum ort der religiösen missionierung …, in: fp vom 16.09.11, s. 3.
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