geträumt: ich scheine auf der flucht zu sein, zumindest fühle ich mich durch irgendetwas, das mir offenbar auf den fersen ist, zu einem verhalten gedrängt, das ich für gewöhnlich nicht an den tag lege: mitten auf der siebenbürgergasse ist ein großer tisch aufgebaut, ich springe darauf und laufe darüber hinweg, als sei es ein lauf- oder bootssteg. links und rechts stehen händler und bieten ihre ware feil, allesamt alte comics mit teils hohem sammlerwert. mein auge fällt auf eine reihe von mosaik-heften aus den frühen neunziger jahren, ich erinnere mich, dass mir einige exemplare aus dem sommer 1990 fehlen und ich suche den stapel durch, kann mich aber nicht mehr erinnern, welche ausgaben mir genau fehlen. unter dem tisch liegen in der straße alte tramgleise verlegt, die schon lange nicht mehr benutzt werden. mir fällt ein, dass es vor zeiten eine kurze linie gab, die vom bahnhof über den steilen franzberg bis hier hinauf führte, nicht mehr als einige hundert meter insgesamt. ich rätsele noch, wie die tram seinerzeit die enorme steigung überwinden konnte. vielleicht, überlege ich, war es eine zugseilbahn wie in heidelberg, aber ich kann mir die führung des ziehenden stahlseils nur schwer vorstellen, zumal eine neunzig-grad-kurve gemeistert werden müsste. womöglich war es auch eine zahnradbahn, fällt mir ein und wie mir das einfällt, scheint es mir plausibel zu sein, so dass ich nicht länger gezwungen bin, über das problem nachzudenken: es verschwindet. statt dessen entfaltet sich vor meinen augen eine art kino-film, eine eigenartige comic-verfilmung mit den drei kobolden aus dem mosaik, es sind keine zeichnungen, wie man sie aus üblichen trickfilmen kennt, vielmehr werden alle möglichen genres der illustration von höhlenmalereien über mittelalterliche buchillustrationen bis hin zu technischen zeichnungen aus dem industriezeitalter in einer ungemein fesselnden collage verwendet. die drei abrafaxe sind mit einem kleinen boot in einen sturm auf hoher see geraten; im wilden wellengang kann man in der ferne ein größeres segelschiff erkennen. das boot droht ständig zu kentern, schließlich tut es das auch und die drei gleiten zum meeresgrund. die wellen werden in einer mischung aus japanischem holzschnitt und europäischer illustration des neunzehnten jahrhunderts gezeichnet; ein überwältigendes blau und eine extrem künstlich erscheinende zeichenführung machen mich staunen. kaum sind die abrafaxe auf den meeresgrund gesunken, und ich denke schon: das ist das ende, regt sich in der wütenden see neptun, der halb und halb das meer selber ist, und packt die drei behutsam an ihren wämsen, zieht sie aus dem wasser mit abgespreizten fingern, wie lebe-damen in berliner bars ihre cocktails trinken, und schleudert sie in die luft, wo sie in einem hohen bogen auf ein felsiges eiland fliegen ohne anscheinend schaden zu nehmen. neptun sagt dazu: „jetzt noch nicht …“, als er sie aus dem wasser zieht. ich bin ungemein beeindruckt und auch ein wenig neidisch auf den film, dessen darstellungsweise mich schier überwältigt. nachdem der sturm vorüber ist, am andern morgen, ankert das segelschiff vor der insel. die drei abrafaxe werden von der mannschaft geweckt, die gerade an land geht. aus dem beiboot steigt eine erzgebirgische bergmannskapelle, richtet sich am strand und fängt an, das steigerlied zu spielen. zu diesen klängen steigt der schiffskapitän aus dem boot und betritt die insel. später ist klar geworden, dass es james cook ist. er erklärt, er leite die erste sächsisch-polnische weltumseglung. (ich stelle mir vor, wie das schiff in danzig aufgebrochen und mühsam-heimlich durch die meerenge beim hamletschloss helsingör geschlüpft ist.) – – in der ersten englischstunde nach den sommerferien üben wir zunächst den vortrag eines lesetextes, indem wir ihn gemeinsam mit den lehrern laut lesen; eine ältere, blonde frau und ein junger mann mit dunklen haaren, der einen dreitagebart trägt, was verwegen erscheinen soll, aber nur gewollt und damit unfreiwillig komisch wirkt. ich halte den neuen referendar für einen wichtigtuer, den man nicht weiter ernst nehmen muss. nach dem gemeinsamen vortrag sollen wir einzeln satzweise laut lesen. was mir im chor eben noch mühelos gelang, bereitet mir nun größte schwierigkeiten, wie ein schulanfänger muss ich die buchstaben zusammenfügen und nur wort für wort komme ich voran. mehrere endungen mit „-ian“ kann ich gerade noch entziffern. plötzlich verwandeln sich die worte zum ende des satzes hin in bilder, von denen ich noch zwei entschlüsseln kann, ohne dass meine völlige überforderung offenkundig wird. das dritte zeichen kenne ich zwar, mir fällt aber seine bedeutung nicht ein, sodass ich verstumme. der dreitagebartreferendar scheint meine niederlage zu genießen, er lächelt süffisant, sagt aber kein wort dazu, sondern fordert mit einer geste jemanden anderes auf, den satz zu beenden. das höre ich schon gar nicht mehr, später fällt mir wenigstens ein, was es darstellt: john travolta im smoking.

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2 Antworten zu

  1. ab sagt:

    ein wunderbarer text/traum. bloß gut, dass meine träume auch nicht übel sind, sonst wäre ich neidisch-gelb auf diese nächtlichen überwälten, die allein schon wegen ihrer (fakten)dichte sehr beeindrucken. wie lange dieser traum wohl gedauert hätte, wenn man sich die mühe gemacht hätte, die hirnströme zu messen… eine landkarte dieses traumes erstellen, wo her stammen die einzelnen aspekte, aus welchen zeitschichten, aus welchen hirnarealen – aus welchen erlebnissen setzte er sich zusammen… eine landkarte also dieses traumes, das wär was.

  2. sri sagt:

    was für eine elektrisierende idee: die kartierung von assoziationen. seit meiner kindheit hege ich eine große leidenschaft für landkarten, reale, fiktive (die berühmte schatzkarte, die wohl jeder einmal gezeichnet hat) und solche, die alternative historische entwicklungen widerspiegeln. man könnte das geografismus nennen; in der deutschen tradition hat das ja zum teil die bösesten folgen gezeitigt, indem der versuch gestartet wurde, die phantasierte karte zu realisieren: ein deutsches indien … – ich kann viele gegenstände des traums biografisch verorten, aber die verknüpfung der einzelheiten bedeutet ja immer noch mehr und das kann ich allenfalls versuchsweise deuten – was wiederum vielleicht zu weit führen würde an dieser stelle. — dennoch scheinen mir drei bemerkungen mitteilenswert: die bezugnahme zu jener seilbahn, mit deren hilfe man auf das heidelberger schloss gelangt, steht natürlich in engem zusammenhang zu meiner kürzlichen reise in die ehemalige kurpfälzische kapitale. während ich auf die ankunft der bahn wartete, die mich wieder in die stadt bringen sollte, beobachtete ich einen vater, der seinem kleinen blonden sohn die funktionsweise der apparatur erklärte. zugleich betrachtete ich fasziniert die stahlseile, die die kabine den abhang des königstuhls hinaufzogen und sie wieder hinabließen. zuweilen ist die befriedigung beneidenswert, die ein ingenieur empfindet, wenn er sieht, wie eine maschine, die er erdacht hat, nicht nur funktioniert, sondern auf eine einfache und zugleich elegante weise einem problem abhilfe schafft. – aus einer sentimentalität heraus beziehe ich nach wie vor die mosaik-hefte; es mag das bemühen hinzu kommen, eine art tradition aufrecht zu erhalten, immerhin hatte mein großvater von anfang an ein abonnement des magazins. jedenfalls erinnere ich mich immer gern an die lese-abenteuer in meiner kindheit. erstaunlich ist nicht nur, dass ich einen gewichtigen teil meiner ersten historischen kenntnisse (etwa die plünderung konstantinopels durch die lateinischen ritter 1204) aus dem comic bezog, diese erfahrung teile ich vermutlich mit nicht wenigen ostdeutschen mehrerer generationen. was mich bei der lektüre der aktuellen ausgaben stets aufs neue verblüfft, ist die differenzierte darstellung, die vielleicht nicht in der fülle an fakten, aber in der spannweite der aspekte manches geschichtswissenschaftliche proseminar in den schatten stellt. ich trage mich seit einigen jahren mit dem gedanken, in einem essay einmal der frage nachzugehen, welche wirkung die lektüre des mosaiks in meiner weltsicht gezeitigt hat – zumal in der in verbindung mit der rezeption der filme und fernsehserien um das raumschiff enterprise: wenn jean-luc picard einmal davon spricht, er strebe danach, sich selbst und den rest der menschheit zu verbessern, hätten das auch die helden von sich sagen können, denen die beiden kobold-trios des mosaiks auf ihren wanderungen durch raum und zeit begegneten. zuletzt entwickeln sich selbst so scheinbar skurile figuren wie ritter runkel zu geradezu schöpferischen persönlichkeiten, die am ende erlösung erfahren dürfen, weil sie sich immer strebend bemüht haben … die rückseite der diesjährigen septemberausgabe zeigte ein schiff, das eifrige fans als james cooks resolution zu identifizieren meinten und ableiteten, die drei abrafaxe würden ihr nächstes abenteuer gemeinsam mit johann reinhold und georg forster (der im übrigen 1754 in danzig geboren wurde) an bord von cooks umgebauten kohletransporters in der südsee bestehen. – seit einigen jahren schwebt mir eine – niemals umsetzbare – idee im kopf herum, einen film zu machen über eine mondfahrt, in der bezug genommen wird auf alle möglichen vorstellungen, die in der phantastischen literatur über raumfahrten gemacht wurden, mondbewohner etwa. ferner wäre die nautische semantik von luft- und raumfahrt wie sie in den bezeichnungen luft- und raumschiff deutlich wird, durch das bild eines segelschiffes zu veranschaulichen, das unsere reisenden durch die wolken bis zum mond bringt. fotorealistische darstellungen und grafische animationen müssten dabei ineinanderfließen, bei den zeichnungen wären alle genres von der höhlenmalerei an einzubeziehen. manche ideen sind am besten, wenn sie nie verwirklicht, sondern immer nur in einzelnen aspekten imaginiert werden. – – ein letztes: die erzgebirgische bergmannskapelle auf der felseninsel verweist auf meine idée fixe, die abgelegene gegend an der sächsisch-böhmische grenze als bezugspunkt für meine verortung in der welt zu benutzen. karten, überall karten: ein reflektierter geografismus sozusagen.

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