abends begegnete mir eine junge frau mit schwarzen haaren, die sie hochgesteckt hatte, so dass der blick auf ihren hals mit dem haaransatz frei war. ich sah sie erst nur von hinten, ihre schultern und ihren rücken in einem weißen, spitzenähnlichen gewand. später streifte ich ihren blick und im streifen ihres blickes blieb ich hängen an ihren dunklen augen, augen, in denen man sich verlieren und wiederfinden kann.
sie bemerkte offenbar, wie ich ihr in die augen sah, und sie sah mich an, vermutlich mehr verwundert als interessiert, denn mehr als einen flüchtigen gruß zum abschied tauschten wir nicht. da waren ihre zähne und ihre lippen schon dunkelrot vom wein gefärbt. dieser anblick und eindruck irritierte und verunsicherte mich und ließ mich ein wenig zurückschrecken vor ihr, obwohl ich mich für dieses zurückschrecken schämte und noch jetzt schäme, wo ich doch so hingerissen war von dem haaransatz auf der rückseite ihres halses und fast ein wenig überwältigt war von der sogkraft ihrer augen. es drängt sich mir auf, ihr gesicht sinnlich zu nennen oder es zu beschreiben als geprägt von einer natürlichen sinnlichkeit, wohl wissend, dass ich mir als leser solcher schilderungen alles und nichts vorstellen könnte, und auch im bewusstsein, ganz abgesehen von der beliebigkeit und inhaltsleere der bezeichnung natürlicher sinnlichkeit damit längst die darstellung von eindrücken aufgegeben zu haben zugunsten der projektion eigener sehnsüchte.
sie unterhielt sich den ganzen abend mit einem jungen mann, gegenüber dem ich mir vielleicht nicht gerade wie ein graues mäuslein vorkam, das sich zuviel herausgenommen hätte, wenn es forsch in die unterhaltung eingetreten wäre, aber gegenüber dem ich doch zumindest nicht recht satisfaktionsfähig erscheinen musste. womöglich, ja wahrscheinlich ist dieser selbsteindruck alles andere als zutreffend, jedoch ist die gelegenheit verstrichen, ihre bekanntschaft zu machen – um ihr vielleicht später einmal vom reiz des haaransatzes auf der rückseite ihres halses zu erzählen und zu schwärmen von der überwältigungswirkung ihrer augen. diesem reiz und dieser wirkung war ich jedenfalls längst erlegen und wenn ich mir dies ins gedächtnis rufe, empfinde ich eine tiefe gelassenheit.

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