ich darf mich nicht von behördenbriefen kleinmachen lassen. das grübeln nach dem zögern beim eintragen und ausfüllen amtsartiger fragen führt zur freiwilligen selbstverachtung. das ist ein ausdruck jener obrigkeitshörigen untertanenhaltung, die ich mir unbedingt abgewöhnen muss. sie lässt nicht nur keinen platz für mich, sie sucht auch noch trost und ausgleich in der stillen herabwürdigung und verachtung der anderen. vielleicht ist dieser mechanismus die wesentliche hemmnung echter pluralisierung: eindeutigkeit verunsichert nicht, denn uneindeutigkeit lässt zweifel daran aufkommen, ob die andern tatsächlich der verachtung und herabwürdigung so wert sind. die fähigkeit, abweichendes zu dulden, setzt die ermächtigende erfahrung voraus, in der welt wirken und gestalten zu können. wenn diese selbstwahrnehmung fehlt, wird die empfundene ohnmächtigkeit im untertanenverhältnis überwältigend. behörden mögen dieses und jenes wissen wollen, vielleicht steht ihnen sogar diese und jene information zu, vielleicht auch nicht – aber nichts berechtigt sie dazu, mein leben zu beurteilen, sie sind nicht einmal fähig dazu. mein leben ist reicher als sie je aus ihren fragebögen erkennen können und es trägt in sich die anlage zu einer größeren vielfalt als sie sich je vorzustellen imstande sind.

Dieser Beitrag wurde unter ddr, demokratie, deutschland, selbstethnografie veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu

  1. sri sagt:

    die abteilungsleiterin lehnt sich vor und macht ein kreuz, / und ihre ohrgehänge baumeln wie damoklesschwerter. // wie ein gesprenkelter falter am boden unsichtbar wird, / verschmilzt der dämon mit der aufgeschlagenen zeitung. // ein helm, den niemand trägt, hat die macht übernommen. / die mutterschildkröte flieht fliegend unterm wasser. (tomas tranströmer, das reich der unsicherheit, in: ders., für lebende und tote. gedichte, mnch./wien 1993, s. 37). – am montag las ich das gedicht, aber ich fand keinen zugang; ich las aneinandergereihte worte, die mir ihren verborgenen sinn nicht enthüllten, die sich mir entzogen. ich hatte wenig geschlafen und war ganz gefangen im reich der unsicherheit mit seinen damokleschwertschwingenden abteilungsleiterinnen am andern ausgang des postwegs: art der beschäftigung? höhe der einkünfte? … ich bin mehr als die summe meiner antworten auf eure fragebogenfragen: „‚(…) in dir öffnet sich gewölbe um gewölbe, endlos. (…)'“ (ders., romanische bögen, in: ebd., 23).

    inzwischen hat sich mir aber, beinahe plötzlich, wie so oft bei der lektüre von texten oder weltpartikeln, ein zugang eröffnet und ein sinn erschlossen, der mich in meinem windmühlenkampf gegen die ignoranz bestärkt und ermutigt: die gebäude des kapitals, die körbe der mörderbienen, honig für die wenigen. / hier diente er. doch in einem dunklen tunnel entfaltete er seine flügel / und flog, wenn keiner zusah. er muss sein leben nochmals leben. (ders., epigramm, in: ebd. 24).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert