es macht tatsächlich einen unterschied ob man sagt: arzgebeercher oder erzgebirgler – die jeweiligen alternativen sperren sich, sowohl arzgebeerchler als auch erzgebirger klingen schief und gekünstelt. wenn man die mundart als eine sprachvariante mit eigenen regeln betrachtet, könnte man thesenhaft zugespitzt zunächst einmal ins grobe hinein schlussfolgern, dass die -ler–endung dort eben nicht auftritt – während sie in der standardsprache offenbar durchaus üblich ist: wagler, ziegler, kundler, wissenschaftler, … adler. – ein mundart-text auf der höhe der zeit zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er die soziale wirklichkeit seiner sprecher darstellt und reflektiert. nicht nur lächerlich, sondern nachgerade tödlich auf die jeweilige mundart wirkt die beschränkung ihrer themen und ihrer motive auf eine scheinbar zeitlose wirklichkeit, die eine konstruierte vergangenheit als „gute alte zeit“ in die gegenwart verlängert, obwohl es sie so nie gegeben hat. ein mundart-text, der figuren entwickelt – und keine rollen in szenen setzt; ein mundart-text der die vergangenheit, insbesondere des letzten jahrhunderts in ihrer ganzen bandbreite darstellt, ein mundart-text, der die gegenwart reflektiert mit den folgen der transformation der planwirtschaft und die pluralisierung der gesellschaft nach 1989: arbeitslosigkeit, demografischer wandel, globalisierung, mobilität, fremdenfeindlichkeit und rechtsextremismus. was gäbe es großartigeres als einen mundart-text, der sich mit den umtrieben der npd im erzgebirge auseinandersetzt. soll mir keiner sagen: das geht nicht. ich habe mir eben ein paar sätze vorgesprochen über die faszination des nationalsozialismus und die schiefe vermittlung in schule und öffentlichkeit – es schillerte wesentlich mehr als übliche mundart-texte über dorfschnurren, die man in jedem fall erzählen sollte, aber eben vielschichtiger: warum nicht über den homosexuellen, der als „hunnertfinfesibtzschor“ von heute auf morgen verschwand oder von den judenhetzen „in dr schul“, obwohl man die paar juden im erzgebirge an einer hand abzählen konnte. die niederschrift wäre ein problem – aber sie bietet andererseit auch enorme freiheiten: man kann tatsächlich so reden, wie einem der schnabel gewachsen ist – nicht anderes heißt ja mund-art. das wird zwar bei den meisten zu einwänden führen, weil eben im nächsten tal schon wieder anders gesprochen wird, aber die devise muss sein: wie der schnabel. jeder versuch einer mischsprache muss scheitern, weil er schief gerät. ein kunstidiom aus den mundarten zweier orte befriedigt niemanden. das retro-romanisch legt zeugnis davon ab.

„‚unnern hitler‘, ‚unnern hitler‘ – wenn iech duss schie hähr. als hätt dorr hitler alle leit vorrhackst, dass se gorr nimmer gewusst hohm, woss se machetn oder als hätt-orr alle gezwunge, zeich ze machn, woss se gorr nett wulldn. die wussdn schieh: duss welche zammgeschlahng wuhrn, duss welche obgehuhlt wuhrn un nimmr widerkehretn. un wenn se nähr wussdn, duss se nett zeviel sogn durftn, duss se nett zeviel frogn durftn – duss se nett zeviel wissn durftn. un su schie ganz schie lahm kunntn …“ das fürs allererste aus der lameng. zwar ist die didaktik hinter dem text noch sehr grobschlächtig, aber zumindest wird meines erachtens ganz gut klar, dass sich mundart in keiner weise auf mitteilungen aus der scheinbar heilen welt von anno dazumal beschränken muss.

1 vgl. armin leischel, mundart-autoren treffen sich in pöhla …, in: fp (a) vom 21.09.11, s. 13 (interview mit dagmar meyer).
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